Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Schnörkelige. Mit den überpräzisen Erklärungen. »Die Fähren fahren nicht. Und selbst wenn Sie schwimmen würden, müssten Sie dann in Tunesien laufen. Denn dort fahren die Züge momentan völlig unregelmäßig oder gar nicht. Außerdem ist es gefährlich. Sehen Sie keine Nachrichten? Wenn Sie unbedingt jetzt nach Tunesien müssen, dann müssen Sie fliegen.«
»Ich verstehe. Was würde ein Fahrschein nach Genua kosten?«
Er bleibt gelassen. Völlig geduldig. »104 Franken. Würde die Fähre gehen, könnte ich Ihnen dafür auch ein Billett verkaufen. Das würde 95 Euro kosten, das sind 114,53 Franken. Von Tunis nach Djerba, wenn da ein Zug bis Gabbes und ab Gabbes bis Djerba ein Bus ginge, würde das 26 Dinar und 650 Millimes kosten. Das sind nur 16,20 Franken, aber das Billett müssten Sie dann schon in Tunesien kaufen. Auf Arabisch oder, wenn sie Glück haben, auf Französisch. Das sind zusammen 234,73 Franken und eine Reisedauer von mindestens vier, fünf Tagen. Also, wenn die Strecken befahren würden. Von hier bis Genua ginge es schnell, aber dann …« Er macht eine Pause und hebt die buschigen Augenbrauen. Langsam nimmt er das Kinn hoch, Millimeter für Millimeter, und ich spüre, dass gleich die Pointe kommt. »Zum Flughafen kostet das Billett nur 3,25 Franken, und den Flieger kriegen sie Last Minute schon für 230 Franken inklusive Flughafengebühr. Im Moment vielleicht sogar noch günstiger. Das ist in jedem Fall billiger und schneller, gemessen an dem, was wäre, wenn alle Fähren, Bahnen und Busse normal verkehren würden.«
»Was sie aber nicht tun.«
»Was sie aber nicht tun. Ganz genau, junge Frau.« Der Mann am Schalter lächelt gütig und nickt langsam.
»Also gut, dann nehme ich den Fahrschein für 3,25 Franken zum Flughafen.«
Als ich mit dem Ticket in der Hand einen Schritt vom Schalter weg mache, stoße ich gegen einen Mann, der hinter mir steht.
»Entschuldigen Sie bitte«, sage ich.
»Kein Problem, für so was wartet man ja gerne.«
Ich überlege, ob das ironisch gemeint war. Hinter dem Mann stehen noch mehr Menschen. Als ich an den Schalter gekommen bin, langweilte sich der Fahrscheinverkäufer. Jetzt windet sich die Schlange in vier Runden um den Züricher Hauptbahnhof. Keiner beschwert sich. Eine Frau spielt Nintendo, viele tippen auf ihrem Handy, einige auf ihrem iPod. Zwei Männer haben sich hingehockt und balancieren ihre Laptops auf den Knien. Niemand ist laut, niemand schimpft, alle sind völlig gelassen. Hier hat man Zeit. Das habe ich schon gestern bei der Ankunft gespürt.
Fast direkt gegenüber vom Bahnhof, wenn man die Limmat überquert, liegt das Hotel Central Plaza. Bei dem Verkehr vor der Haustür war die gestrige Nacht laut, aber das habe ich in Kauf genommen. Im Foyer wurde ich freundlich empfangen. Von innen ist das Hotel moderner, als die Fassade vermuten lässt. Als ich nach meiner Ankunft das Zimmer nahm, wunderte ich mich, dass das Frühstück nicht inklusive ist, aber auch darüber ging ich mit einem Achselzucken hinweg. Meine Mutter hätte deswegen einen Aufstand gemacht. An der Rezeption liegen Flyer für eine Vernissage aus, die heute in einer kleinen Galerie in der Nähe stattfindet. Ich lasse sie liegen, da ich von Schickimicki-Kram erst einmal genug habe. Nachdem ich telefonisch den Flug gebucht habe, überlege ich, Anna anzurufen, damit sie sich keine Sorgen macht. Aber jetzt zolle ich erst einmal Zürich Zeit.
Es ist, als wäre ich in einer alten französischen Stadt am Mittelmeer. Die kleinen Gassen zwischen den prächtig verzierten Altbauten führen mich langsam durch ein Zürich, das zeigt, wie die großen Städte Europas aussähen, hätte es keinen Krieg gegeben. Ich habe mir vorgenommen, bis zum Fraumünster zu gehen, um die fünf Chagall-Fenster zu bewundern, und auf dem Rückweg das Spielzeugmuseum zu besuchen. Auch das Schweizerische Landesmuseum reizt mich. Ich müsste hetzen, um alles zu sehen. Stattdessen schleiche ich durch die Gassen und lasse mich von winzigen Läden mit Feinkost, Kleidung, Schmuck und allerlei schönen Dingen ablenken. Kleine Cafés mit Tischen wie von Pariser Bistros verengen die Gassen und laden ein, sich hinzusetzen und die Stadt an sich vorbeiziehen zu lassen. Ich gehe weiter, genieße die laue Luft und das Urlaubsgefühl. Habe ich eigentlich jemals eine Städtereise allein unternommen? Ich überlege und gehe die Städte durch. Paris, Riga, Budapest, London, Prag, Barcelona, Rom, Reval, Madrid, Luxemburg,
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