Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
dreht sich um und sieht mich vorwurfsvoll an.
»Meh-au!«
»Mäh-au? Du willst Pudding?«
»Meh-au!!«
»Meh-au? Mit ›e‹? Das heißt, du musst mir was zeigen?«
Er schnurrt, schabt mir einmal um die Beine und setzt sich wieder vor die Schranktür. Ich seufze und schiebe sie auf. Yannick rammt die Pfote in eine Stofftasche und zieht sie aus dem Schrank. Sie kippt. Spanngurte kommen zum Vorschein. Er schnüffelt an den Gurten, tapst zum Schreibtisch, springt vor die Kartontürme und schnüffelt an der fettigen Pappe. Mein Hirn schaltet wie sonst nur, wenn ich die Lösung eines Adventure-Rätsels begreife. Benutze Spanngurte mit Altpapier.
»Leck mich am Arsch!«, hauche ich. »Du bist wirklich hochbegabt und unterfordert.«
Eine halbe Stunde später beobachten Dutzende amüsierter Studenten und Passanten, wie ein Mann um die dreißig einen gigantischen Klumpen Pizzapapier an einer Leine hinter sich her den Weg hinunter zum Hustadtring zieht. Der Ballen aus Karton ist ungefähr so groß wie ein ganzer Altpapiercontainer selbst. Einige junge Frauen machen Fotos, sie tragen teure, schmale Brillen und Kaschmirschals, obwohl es Frühling ist, weswegen ich vermute, dass sie Kunst studieren und das Ganze für ein Happening halten. Die Container stehen unten am Ring, am Fuß des Hügels, auf dem zunächst das Hallenbad und dann die Hochhäuser thronen. Zwei für Altpapier, drei für Glas. Ein Auto muss eine Vollbremsung machen, da vor ihm andere Wagen und ein paar Radfahrer mitten auf der Straße anhalten, weil sie zusehen, wie ich den Riesenklumpen neben den Containern positioniere. Er kommt stabil zum Liegen. Fortan sehen die Wartenden an der Bushaltestelle gegenüber hier sechs große Objekte. Fünf aus Stahl und neben ihnen, verschmitzt und still, der große Klumpen. Wären wir in Berlin, würde meine Skulptur auf jeden Fall liegenbleiben, und Hartmut hätte eine passende Theorie für sie parat. Auch eine Marketingkampagne für Pizza wäre mit diesem Motiv denkbar. Ich gehe den Hügel wieder hinauf, überquere den schmalen Streifen Wiese und schaue durch die Fenster hinein ins Hallenbad. Heute Abend ist die Pizza Prosciutto dran, Grundstein für eine neue Säule. Im Hallenbad zieht ein alter Mann diszipliniert Bahnen und krault mit seinen haarigen Armen einfach alles weg, was ihm in den Weg schwimmt. Alte Männer beanspruchen Naturrecht in städtischen 50-Meter-Becken. Plaudernde junge Frauen oder rückenschwimmende Anglistikstudenten versinken zu Dutzenden im sprudelnden Bugwasser ihrer Schaufelarme. Die Aquagymnastik-Kurse, die vorne im Nichtschwimmerteil des Beckens stattfinden, durchpflügen die soldatischen Senioren grollend wie Grauwale. Die Trainerinnen am Beckenrand und der schüchterne 400-Euro-Aushilfs-Bademeister können nur zusehen, wie der ehemalige Flakhelfer des Führers ihren gesamten Gymnastikkurs unter seiner Gischt begräbt. Frieden herrscht lediglich im pisswarmen Babybecken. Moment mal. Im pisswarmen Babybecken? Ich schaue auf die Uhr. Vor der Prosciutto wäre ein erneuter Badeversuch dran, und langsam gehen mir in der Bude oben die Ideen aus. Eine Mutter dippt ihren Säugling mit den winzigen Füßchen in das warme Wasser. Der Säugling quiekt. Eine Badehose dürfte ich noch haben.
Wenig später betrete ich das Hallenbad und steige an der gegenüberliegenden Seite ins Schwimmerbecken, um Sport zu simulieren. Der Flakhelfer pflügt immer noch durch die Amateure, und auf dem Drei-Meter-Brett warten junge Anatolier darauf, dass der Anglistikstudent in den Sprungbereich hineinschwimmt, damit sie »Mach Platz, du Spast!« schreien und ihm mit angewinkelten Beinen in den Rücken springen können. Ich schwimme zwei halbe Bahnen, steige wieder aus dem Becken und tue so, als sei ich schon Stunden hier gewesen. Ich ächze, reibe mir den Nacken und dehne meine vom Ausdauersport zerschundenen Beine, während ich mich Schritt für Schritt zum Babybecken vorarbeite, in das ein so fleißiger Mann ja wohl einmal kurz absinken darf, nachdem er seine Bahnen gezogen hat. Das Wasser ist warm, nahezu heiß, und so tief wie eine Badewanne! Ich lege mich flach hinein. Kleine Sprudeldüsen türmen winzige Blubberberge auf. Hinter mir befindet sich eine dunkle, gekachelte Grotte. Ich schiebe mich unauffällig halb hinein. Die Grotte dämpft alle Geräusche. Ist das schön. Ist das unglaublich schön. Oh, mein Gott! Das ist fast besser als eine Wanne. Das ist … ohhh … ohhhh ja … ohhhhhhhhhh
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