Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Warschau, Zagreb, Oslo, Athen, Lissabon, Wien, Dublin, Douglas, Andorra, Valencia, Gibraltar, Palma, Mailand, Trier, Brüssel, Kopenhagen, Amsterdam, Moskau und viele mehr. Die meisten Städte habe ich mehrfach besucht, aber niemals war ich allein. Gut, in deutschen Städten schon, aber im Ausland? Nein, es war immer jemand bei mir. Ein fieser kleiner Gedanke gräbt sich aus den Falten meines Hirns in die Synapsen der Hirnrinde. Er hatte sich sehr gut versteckt, und ich will ihn nicht denken. Und dann kommt da noch einer. Der ist noch gemeiner. Was soll das? Es ploppt zweimal, und ich habe den Kampf verloren. Da sind sie und grinsen boshaft. Der erste Gedanke brüstet sich damit, dass ich offensichtlich immer nur im Takt anderer gegangen bin. Zum Beweis legt er mir meine Städtereisen vor. Lange Fußmärsche durch die Straßen, kein Halten, nie die Gelegenheit zum Malen. Immer nur von einem Punkt zum nächsten. Fotografieren. Fertig. Weiter. Und am Abend schmerzende Füße. Schnell, schnell, wir haben nur wenig Zeit, und die muss gut gefüllt sein. Und ich mache mit. Ich mag den Gedanken nicht. Er ist hässlich. Aber leider wahr.
Der zweite ist noch gemeiner. Er präsentiert mir süffisant mein Leben der letzten Jahre. Ich will endlich ohne das Geld meiner Eltern auskommen und werde disqualifiziert, muss in die Pampa ziehen und soll in einem schimmeligen, verfallenen Haus arbeiten. Ich befinde mich obdachlos auf Autobahnen und muss glücklich sein, dass ich Rasthofausstellungen machen darf. Ich freue mich über den angekündigten Zuwachs in unserer Familie, dann wird alles zerstört, und die Familie ist plötzlich gar nicht mehr vorhanden. Und ich bin immer nur Staffage, Ausstattung, das hübsche Gesicht als schmückendes Beiwerk. Bah. Was für ein mieser, fieser Gedanke. Ich weigere mich, ihn als wahr anzuerkennen. Es ist meine Familie, ich fühle mich in ihr geborgen und wohl, ich liebe diese fünf Wesen um mich herum. Der böse Gedanke lacht und zeigt mir das Bild der letzten Monate. Ohne meine Familie. Auseinandergedriftet.
Ich gehe weiter und sehe auf meine Füße. Sie tappen über Kopfsteinpflaster. Grau mit kleinen tiefen Gräben und manchmal etwas Grün. Es ist egal, was in meinem Kopf vorgeht, hier unten geht es einen Schritt nach dem anderen. Das ist beruhigend. Ich hebe den Blick wieder. Ein Paar lacht und hält sich an den Händen. Das gehört doch dazu! Wenn ich mich nach anderen richte, dann weil es mir Freude macht, mit ihnen zusammen zu sein. Bei einer Städtereise, im alltäglichen Leben oder bei Abenteuern. Das ist vollkommen in Ordnung, solange ich mit Menschen, nein, ganz allgemein mit Lebewesen, zusammen sein kann, die ich liebe, denen ich vertraue und die wahrhaftig sind.
Ein kinoleinwandgroßes Schaufenster, das komplett mit Glückwunschkarten ausgefüllt ist, schiebt sich in mein Blickfeld. Die Karten sind sortiert. Nicht nach Anlässen, sondern nach den Farben des Regenbogens. Blasse bis kräftige Töne aus der gesamten Palette. Ich rutsche den Regenbogen herab und lande wieder auf meinen Füßen. Die beiden gemeinen Gedanken verlieren ihre heiße Luft, schrumpfen, fallen in sich zusammen und lösen sich mit einem winzigen Pling auf. Ich atme durch und lasse mich durch Zürichs Altstadt treiben. Ich kaufe mir ein Schokoladeneis und genieße mein eigenes Tempo. Trotzdem.
Eine Menschentraube drängt in einen Eingang. Ich passe nicht auf und gerate in den Sog. Er zieht mich mit den anderen durch die Öffnung und spuckt mich in Räumen mit weißen Wänden und Gewölbedecken wieder aus. Die Menschen verteilen sich. Sie wirken zufrieden. Sie plaudern leise. Eine Kellnerin bietet mir auf einem Tablett Getränke an. Ich entscheide mich für einen Orangensaft. Die Wände sind professionell beleuchtet. Sie setzen Farben auf Leinwand ins perfekte Licht. Eine Ausstellung! Ein flüchtiger Blick auf den Eingang zeigt mir, dass es hier zurzeit keinen Ausgang gibt; ein längerer auf das nächstgelegene Bild, dass ich hierbleiben kann und möchte.
»Nachgemachter Expressionismus. Die Schmerzlosigkeit verursacht mir Krämpfe.« Meine Kopf-Mutter kann sich eines Kommentars nicht enthalten.
»Klar, Mutter, die sind ja auch nicht wie Bilder von Barjola, Schiele, Bloch, Wollheim oder Böckstiegel, sondern eher wie die von Kandinsky, Macke, Marc, Klee, Chagall oder Feininger.«
»Uninspirierte Ideenreproduktion! Historisch unbedeutende Auflagenprojekte. Das sind Fingerübungen. Einer Ausstellung
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