Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
unwürdig.«
»Niemand würde die Kritiker vermissen, wenn sie ab sofort schwiegen, Mutter.«
Eine Frau mit Brille und sehr kurzen Haaren in einem langen wildgemusterten Rock klopft an ein Sektglas. Augenblicklich ist es still.
»Im Namen unserer jungen Künstler begrüße ich Sie herzlich. Lassen Sie die Werke auf sich wirken und unterhalten Sie sich mit den Schöpfern. Wenn Ihnen ein Gemälde besonders gefällt, wenden Sie sich bitte an mich. Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht sagen, außer: Ich wünsche Ihnen viel Spaß!«
Das war kurz und knapp. Wenn ich schon mal hier bin, schaue ich mich auch um. Die Bilder inspirieren mich. Klare, kräftige Farben stehen nebeneinander. Oft überhöhen sie den Bezug zu ihrem Motiv so stark, dass man ihn fast nicht mehr feststellen kann. So entstehen durch geometrische Abgrenzungen violette Bäume mit roten und gelben Streifen. Die Motive kommen häufig aus der Natur. Kein einziges Portrait ist dabei. Im Expressionismus waren Portraits praktisch Pflicht. Aber hier wird ja auch neu interpretiert. Einige Motive sind nicht zu erkennen. Sie wirken wie nicht mehr zu dechiffrierende Vergrößerungen.
Ich kaufe mir den Ausstellungskatalog. Diese Bilder will ich mir auch noch ansehen können, wenn ich weitergereist bin.
»Das sind dann 17,50 Franken. Gefallen Ihnen die Bilder?«
Gefallen oder nicht gefallen ist hier ein ernsthafter Parameter? Oder ist die kurze Kurzhaarfrisur nur für die eigentliche Galeristin eingesprungen? Meine Kopf-Mutter antwortet: »Wahrscheinlich nicht. Wenn das offenbarte Prinzip schon beim ersten Mal evident wird, braucht es keine Wiederholung. Da bleibt nur der Parameter der Ästhetik.«
»Evidenz … Ist denn nicht sowieso alles schon mal da gewesen?«, erwidere ich im Kopf.
»Kind, Wiederholungen sind nicht mal beim Kochen sinnvoll. Ernährungsphysiologisch gesehen.«
»Ja, sie gefallen mir außerordentlich gut«, sage ich laut. Ich frage mich, ob ich über den Versuch der Vergrößerung bis zur Molekularstruktur, über die Farbigkeit des Expressionismus und deren Pervertierung reden soll oder ob ich einfach sagen kann, was mich tatsächlich inspiriert. Ich entschließe mich für Letzteres. Was soll schon passieren – ich bin schließlich nicht im Haus meiner Mutter. Sie ist nur in meinem Kopf. »Sie wirken so lebendig durch das Nebeneinanderstellen der Farben.«
»Da haben Sie völlig recht. Genau dafür benutzen die Künstler diese Technik. Sie stammt aus dem Expressionismus, hier aber ohne dessen Protestgedanken und ohne das Motiv erst ›durchfühlen‹ zu müssen. Eher im Gegenteil.«
»Frieden durch Farbe«, sage ich.
»Richtig. Das ist es.« Die Galeristin lacht mich herzlich an. »Malen Sie selbst?«
»Ich bin auf dem Weg nach Tunesien. Ein bisschen auf Mackes Spuren, wissen Sie?«
»Dann haben Sie hier doch genau den richtigen Halt gemacht. Wussten Sie von der Ausstellung?«
»Nein, ich bin zufällig reingezogen worden.«
»Ach, nein, an Zufälle glaube ich nicht. Hier, das ist Iris. Sie hat die Bilder auf dieser Seite gemalt. Sie war vor zwei Jahren in Tunesien für Macke-Studien. Mögen Sie sich ein bisschen mit ihr unterhalten?«
Vielleicht gibt es wirklich keine Zufälle.
Ich bleibe.
»Du musst unbedingt die Wüste sehen! Sie hat ein wahnsinniges Licht, besonders am Morgen. Etwas Feines, gepaart mit Urtümlichkeit.« Iris bemüht sich, mir die wichtigsten Tipps für meine Tunesienreise mitzugeben, während wir durch Zürichs Gassen spazieren. Es ist nicht leicht, denn drei Männer aus der Ausstellung kleben an uns, als wären wir Fliegenfänger. Ihre Worte prasseln auf uns ein.
»Hier gibt es hervorragende Musik. Du tanzt doch, oder?« Ein Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen und langem Kinn grinst mich an. Blaublitzende Augen unter dunklen kurzgeschnittenen Haaren. Eine Nase mit kleinem Knick, gerahmt von blonden Locken, schiebt sich daneben: »Im ›Bazillus‹ ist immer was anderes los. Das rockt!«
»Du bist doch sicherlich schon halb verhungert. Unsere Canapés waren ja nicht abendfüllend. Direkt hier um die Ecke ist das beste Restaurant der Stadt!« Weiße Zähne unter großen dunklen Augen in einem fast ebenso dunklen Gesicht lachen mich an.
»Na sicher. Und dann flößen wir unserer Vegetarierin mal eben ein kleinpüriertes Steak ein, oder was? Nein, wenn du was zu Essen brauchst, kommt nur das ›SamSeS‹ in Frage.«
»Das ist doch so nicht wahr. Guten Flammkuchen gibt es hier überall. Dafür
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