Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
guten Morgen.
Caterina
PS: Ich mag es, dass Du an mich denkst.
Ruhig kuschle ich mich wieder ins Bett. Einen Augenblick später klingelt mein Handy. Es ist Alejandro. Leise erzähle ich ihm von meinen Erlebnissen. Nur den Mailer Daemon lasse ich aus.
> Caterina
< Hartmut
Weltmusik
18. 03. 2011
52° 13′ 45.78″ N, 21° 00′ 38.26″ E
Ich sitze vor dem Computer der Pensionswirtin und kratze an meiner rechten Kotelette. Sie ist nicht mehr da, nur noch glatte Haut, wo einst das krause Haar spross. Es fühlt sich an, als sei sie noch vorhanden. Phantomkotelette. Außerdem kratze ich mich, weil ich die Post meines ehemaligen Mitbewohners lese. Ich bin versunken in seinem Text, versunken in Los Angeles.
Die Asiamärkte in meinem Viertel sehen so ähnlich aus wie die in Bochum oder Dortmund, aber sie sind gedrungener. Die Gänge sind schmal und die Regale hoch. In den Kühltruhen liegen große Tiere. Vor der Tür wird dir sofort wieder bewusst, wo du bist. Die Luft und das Licht sind einzigartig. Selbst die Geräusche, das Hupen, das Gemurmel der Menschen, die Polizeisirenen, die man immer hört, acht, neun Blocks weiter. Du schaust auf das heruntergekommene Hi-Fi-Geschäft auf der anderen Straßenseite und weißt: Dahinter noch mal acht Querstraßen weiter, da ist bereits Watts, da ist Compton.
Ich muss lächeln. Ich spüre seine Faszination, sie sprüht aus jeder Zeile. Er wohnt an der Grenze zum Ghetto. Wäre er in Köln-Ossendorf oder Berlin-Lichtenberg, würde er sich vor Weltekel erbrechen, aber er ist in Koreatown, Los Angeles. Es fühlt sich für ihn an, als sei er in einen Film gezogen. Als wir uns kennenlernten, zur Oberstufenzeit, da kamen all diese Streifen auf, in denen afroamerikanische Jungkriminelle in weiten Hosen durch ihre Viertel wippten, stundenlange Nonsensdialoge über zu viel Ketchup auf den Fritten hielten und danach jemanden erschossen, als sei nichts dabei. Filme, die eigentlich warnen und mahnen wollten und in dieser Intention nach hinten losgingen wie ein Silvesterknaller, den man in der Hand behält, während man das Feuerzeug wegschmeißt. Filme, die selbst meine niederen Instinkte ansprachen, auch wenn ich mich dafür schämte und in meinem Kopf der Professor sprach. Mein Mitbewohner hatte keinen Professor im Kopf. Ihn faszinierte der Stoff ungebrochen. So sehr, dass er eine Zeitlang die Gesten und Sprüche nachspielte, den ganzen Lebenswandel, ohne das Morden natürlich. Er tat so, als mache er nur Spaß, wenn er in weitem, wippendem Gang auf mich zukam und den Arm wie ein Gummilasso schwang, um mich mit den Worten »Was geht, Nigger?« abzuklatschen und dann auf dem Bürgersteig, einen Zahnstocher im Mundwinkel, gegen Geld Würfel zu spielen. Heute ist ihm das peinlich, und ich würde es auch nie jemandem erzählen. Aber peinlich hin oder her: Die Vorlieben, die ein Mann in der Spätpubertät ausgelebt hat, verschwinden niemals ganz.
Hartmut, sie stehen hier an den Straßenecken, die Caines und O-Dogs. An der Tankstelle tauschen sie Geld und Ware aus, während ein weißer Proletarier mit Baseballkappe seinen Pick-up vollmacht. Sie tragen beige Baggy Pants und Feinrippunterhemden. Das ist tatsächlich so. Allerdings lassen sie einen vollkommen in Ruhe. Die Wohnviertel, die nördlich von Koreatown links und rechts von der Vermont Avenue abgehen, sehen schon gepflegter aus als das Durcheinander der kleinen Geschäfte und Sexshops südlich von mir. Sie haben allesamt »Neighborhood Watch«, das heißt, jeder achtet auf jeden, und wenn du einfach so länger als zehn Minuten dort spazieren gehst, bist du direkt verdächtig. Wenn Du’s genau wissen willst, heißt mein Viertel Vermontkorridor oder auch Virgil Village. Mein Appartement ist dreißig Quadratmater klein und liegt immer in diesem gräulich gelben Licht, selbst wenn ich die Vorhänge nicht zuziehe. Der Straßenlärm des Freeway rauscht Tag und Nacht. Ich sehe ihn wie einen langen Wurm auf Stelzen, wenn ich aus dem Fenster schaue. Morgens fahre ich mit der U-Bahn zur Filiale, wo die Wagen stehen. Die U-Bahn ist zum Lecken sauber und sicherer als die Ruhr-Uni bei Nacht, denn jeder Winkel wird gefilmt, und es gibt Sicherheitsleute. In L. A. Pakete auszufahren ist immer wie ein Rein und Raus aus Korridoren. In den schmalen Straßen hast du das Gefühl, du quetschst dich durch das Chaos brasilianischer Favelas, nur eben mit Häusern statt Wellblechhütten. Du verlierst den Überblick und siehst nur noch abgeblätterte
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