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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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nach meinen. Eine Erinnerung flammt in ihnen auf, wie ein gedanklicher Post-it-Zettel. »Ich wollte doch eben …«, sagt er, dreht sich zum Geländer um und rennt wieder los. Zwei Schritte schafft er, dann schlingen sich meine Packer-Arme um seinen Hals und seine Brust, und ich reiße ihn zu Boden. Er stößt Luft aus, als wir aufprallen. Dann murmelt er: »Das Geländer aus verstärktem Stahl ist widerstandsfähig und wetterfest. Eine robuste Lösung für kostenbewusste Hausbesitzer.«
    »Hör sofort auf mit der Scheiße!«, brülle ich ihn an, obwohl ich ihn gar nicht kenne. Ich bin stinksauer, weil er freiwillig sein Leben wegwerfen will. Für einen Augenblick sehe ich meine Wahlfamilie vor mir, hier im Sommer auf der Terrasse, inklusive Lisa, die keine Wahl hatte, ob sie leben oder sterben wollte. Hartmut am Geländer mit stolzem Vaterblick, die Koteletten im Wind. Caterina zufrieden im Klappstuhl, einen Cocktail in der Hand, den ich gemixt habe. Die Augen des Lebensmüden flitzen quer durch mein Gesicht und taxieren meine pumpenden Schläfen.
    Ich japse: »Wenn du noch einmal versuchst, da runterzuspringen, ich schwöre dir, dann …«
    »… bringst du mich um?«, sagt er.
    Eine Weile liegen wir auf der Terrasse, eng umschlungen. Er zuckt noch ein paarmal, so dass ich erst mal mit ihm auf dem Boden bleibe. Er riecht nach Schweiß. Ich sage: »… dann mache ich dir einen heißen Kakao mit Zimt, egal ob du denkst, du hättest es nicht verdient. So!«
    Er schaut vom Boden zu meinem Fenster. Auf seiner Brille klebt Staub. »Ist das dein Ernst?«, fragt er, und seine Stimme klingt dabei vollkommen anders als bisher. Weich und kindlich, wie von einem kleinen Jungen in Latzhose, der sich auf den Abend freut.
    »Und ob!«, antworte ich und rupfe ihn vom Boden. Ich schubse ihn vor mir her in den Flur und schließe schnell die Terrassentür. Dann treibe ich ihn in mein Appartement. Kaum sind wir drin, schließe ich die Tür ab und stopfe den Schlüssel tief in meine Hosentasche.

    »Miii-au!«, jubelt Yannick, weil endlich mal was los war. Und weil ich mich als Held erwiesen habe. Der Lebensmüde lächelt, als er den Kater sieht, und stolpert vor die Katzentransportbox, die noch nicht ganz sauber weggeräumt wurde.
    »Oh! Eine Trixie 39861 Capri III Open Top . Sehr geräumige Lösung für bis zu zwei Katzen. Ordentliche Verarbeitung. Alles in allem ein gutes Produkt zu einem sehr guten Preis.«
    Was redet der denn da immer?
    Der Lebensmüde hält Yannick den Finger hin. Ich koche Milch auf.
    »Ich heiße Nestor«, sagt der Lebensmüde, seufzend, langsam und betont tragisch. »Und du?«
    Ich nenne ihn meinen Namen.
    »Du hast es gut«, sagt er. »Mit so einem Namen erwartet keiner etwas Großes. Aber Nestor heißt Altmeister. Weiser Mann. Nestor war der Berater von Agamemnon. Ein Streitschlichter.« Sein Blick fällt auf die Spielhülle von Midnight Club: Los Angeles , die neben dem Fernseher liegt. »Das Spiel macht dort weiter, wo die Konkurrenz stehengeblieben ist. Tolle Graphik und Präsentation und eine sehr gute Spielbarkeit heben den Titel auf den Streetracer-Thron.« Er sagt es in demselben Tonfall, in dem er schon über die Bodenplatten, das Geländer und die Katzenbox gesprochen hat. Als schalte sich in ihm der Text von selber ein.
    Ich löffele Kakaopulver in die Tasse. Nestor schaut auf die Packung und sagt: »Ach, du Scheiße! Das habe ich ja ganz vergessen!« Ohne Ansatz oder Warnung rennt er los, an mir vorbei und reißt die Tür auf, ehe ich überhaupt reagieren kann. Ich greife aus meiner Tür heraus ins Leere, denn er hat sich gar nicht nach rechts zur Terrasse orientiert, um erneut einen Sprung zu versuchen, sondern eilt wie ein ruckelig animiertes Kastanienmännchen den Wohnheimflur hinab. Ich schließe meine Tür und folge ihm ins schattige Treppenhaus. Es ist wie in einem dieser Verfolgeralbträume, nur dass ich dieses Mal der Jäger statt der Gejagte bin. Nestor hat immer eine Treppe Vorsprung.
    »Jetzt warte doch mal!«
    Im dritten Stock öffnet er die schwere Stahltür zum Zimmerflur, die fast vor meiner Nase zuschwingt. Hastig wie ein Süchtiger oder ein Mann, der schnellstens aufs Klo muss, schließt er sein Appartement auf. Er zieht nicht mal die Tür hinter sich zu. Ich betrete hinter ihm den Raum und renne nach den zwei Schritten Küchenzeile vor einen Wall aus Regalen und Kisten. Sie sind vollgestopft mit neuwertig wirkenden Waren aller Art. Es sind so viele, dass sie das kleine

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