Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
einer Katze, welche das Mäulchen auf der Stirn und die Augen unter der Nase hat. Ich quieke.
Die Frauen, die mit ihren Körbchen und Kisten auf den Stühlen sitzen, lachen. Die Katze, die mich anstarrt, hängt kopfüber an der Decke des Wartezimmers. Die Decke ist auf zwei Meter abgesenkt und der Raum komplett mit Sisal ausgekleidet. Vollständig! Der Boden, die Wände, die Decke – alles eine dichte Schicht der faserigen Kordel, die Katzen so sehr lieben. Wie eine Gummizelle aus Tau. Die Kopfüberkatze lacht, dreht sich um und rennt senkrecht die Wand hinab. Yannick kratzt von innen an der Box, ich öffne sie, und er tritt in das Paradies, irritiert wie ein Mann, der nicht glauben kann, dass man ihm eben die Originalspielhalle aus Tron aufgeschlossen hat.
»Zum ersten Mal hier?«, fragt ein Frauchen in roter Bluse, deren Katze rechts über ihrer Schulter an der Wand klebt. Ich nicke atemlos.
»Dann warten Sie erst mal, bis Sie die Haupträume sehen.«
Yannick prüft mit der rechten Pfote, ob es auch wirklich wahr ist. Spielte er den Hauptkater in einem Film, würde in dem Moment, wo er die Sisalwand berührt, ein Glitzergeräusch ertönen.
»Was kann Ihrer?«, fragt mich die Blusenfrau und ich weiß nicht, ob ich sagen soll: Unendlich scheißen. Sie nimmt mir die Entscheidung ab, indem sie von ihrem Racker erzählt: »Spinoza rechnet. Er zutzelt Knöpfe oder Erbsen oder kleine Papierbällchen herbei, legt zwei Zweierpaare nebeneinander und pitschelt mit der Pfote als dritte Formation eine Vierergruppe hin. Als meine Schwiegermutter es das erste Mal gesehen hat, bekam sie Schnappatmung.«
Yannick hat Spinoza gerade an der Wand getroffen. Knurrend stehen sich die beiden Kater gegenüber, im 90-Grad-Winkel, die Krallen im Sisal verhakt. Für sie ist die Wand jetzt der Boden.
»Meiner hat ein Problem mit griechischen Namen«, sage ich. »Er ist mehrsprachig.«
»Spinoza war Holländer«, antwortet die Frau.
»Ach, Sie sind das!«, begrüßt mich wenig später Doktor Slepitzka und legt die frisch angelegte Akte auf den Tisch seines Sprechzimmers. »Dachte ich mir doch: Den Mann kennst du von irgendwoher. Obwohl damals immer Ihr Mitbewohner seinen Namen für die Rechnungsanschrift hergegeben hat. Wie hieß er noch? Der Große mit den Koteletten?«
»Hartmut Hartmann«, sage ich und stelle die Box, in der Yannick die paar Schritte vom Wartezimmer machen musste, auf den Tisch.
»Hartmut Hartmann … genau.« Slepitzka legt den Finger ans Kinn. »Der hat doch auch dieses Buch geschrieben, oder? Aber gut …« – er klatscht in die Hände –, »wir sind nicht wegen ihm hier, sondern wegen Ihrer Untersuchung.«
»Genau«, antworte ich und zeige auf Yannick. »Also körperlich geht es ihm gut, deswegen sind wir ja auch nicht hier. Aber ich verstehe, wenn Sie trotzdem mal nachsehen wollen.«
»Ich will mal nachsehen, ja«, sagt Doktor Slepitzka, öffnet die Box, nimmt Yannick heraus, trägt ihn durch eine zweite Tür in einen Nebenraum, kommt mit leeren Händen wieder und zieht ein dunkles Rollo hoch, das an der linken Zimmerwand eine riesige Scheibe bedeckt hat. Dahinter kommt ein locker fünfzig, sechzig Quadratmeter großes Spieleparadies für Katzen zum Vorschein. So viele Stege, Kletterbäume, Seile und Wippen habe ich noch niemals in einem Raum gesehen. Es wirkt wie ein Wimmelbild oder eine Zeichnung dieses M. C. Escher, bei dem Treppen sich auf paradoxe Art ineinander verknoten. Auf dem Fußboden huschen künstliche Mäuse und Laserpunkte herum, die man als Katze gern jagt. In einer Ecke am hinteren Ende des Raums sitzen vier Katzen aufmerksam vor einer Pädagogin und beobachten Tafeln mit Zahlen und Vögeln, die sie ihnen vor die Nase hält.
»So, dann kommen wir also zur Untersuchung«, sagt Doktor Slepitzka und schiebt mir einen eiskalten Abhörstöpsel unter mein Hemd auf die Brust.
»Ruhig atmen, bitte!«, sagt er. Dann misst er meinen Blutdruck.
»Aber … der Kater«, sage ich.
»Dem geht’s gerade sehr gut«, sagt Slepitzka und hat natürlich recht. Yannick huscht über die Stege und Seile wie ein Kapuzineräffchen. Gerade macht er im Sprung einen Salto. Für eine Sekunde sehe ich eine goldene Münze in der Luft, die er bei Berührung mit einem »Pling!«-Geräusch aufsammelt, weil das immer passiert, wenn ein süßes Wesen springt und rennt.
»Die Untersuchung bei uns gilt dem Menschen der Katze«, sagt Slepitzka. »Ihr Kater hat sozusagen Sie als meinen Patienten mitgebracht.« Der
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