Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
Vom Netzwerk:
schon gibt. Seine Augen springen zwischen dem Roman in seiner linken Hand und den Texten auf dem Monitor hin und her.
    »Du kannst keine 2500 Seiten in einer Nacht lesen«, kommentiere ich das Offensichtliche.
    »Ich brauche nur einen Eindruck«, sagt er, und der Atem stößt flach aus Nase und Brust. »50 Seiten vorne, 50 in der Mitte, das Ende und Texte aus dem Netz zur Einordnung. Bei Musik oder Spielen geht das schneller. Kaffee machen. Kannst du vielleicht Kaffee ansetzen?« Er macht einen Ruck mit dem Kopf und schlägt die Hand vor die Stirn. »Oh nein! Bei der Post steht noch eine Kaffeemaschine, die ich testen soll. Der Schein war gestern im Briefkasten. Ich glaube, der Text musste heute schon ins Netz. Das war ein Gesamtpaket mit Bloggen, Twittern und Forenbeiträgen. Oh nein, oh nein, oh nein.«
    Ich habe keine Ahnung, was er da faselt, aber ich weiß mit einem Mal ganz genau, was ich tun muss. Ich greife seinen rechten Arm, presse ihn wie bei einem Ertrinkenden im 90-Grad-Winkel gegen seine Brust und ziehe ihn unter Geschrei aus seinem Schreibtischstuhl.
    »Hey! Was soll das! Entführung! Skandal!« Nestor strampelt mit den Beinen – der spindeldürre Muskelpulvertester –, sein Stuhl fällt auf die Matratze, ich greife nach seinem Schlüssel auf der Spüle, schubse ihn in den Flur und sperre seine Bude ab. Er presst sich gegen das rote Holz und scharrt. »Lass mich da rein, ich muss arbeiten!«
    »Du springst später wieder vom Dach, wenn das so weitergeht. Du musst nicht arbeiten, du brauchst eine Pause.«
    »Aber …«
    »Vorwärts!!!«, belle ich ihn an, und die Nickhaut über seinen Augen verschwindet. Er gehorcht und lässt sich von mir aus dem Haus treiben, quer durch das Uni-Center, durch den frühen Abend hindurch an der Sparkasse vorbei auf die zugige, breite Brücke zur Ruhr-Uni.
    »Was machen wir hier?«, fragt er. Der Wind zerpfeift seine Worte wie auf dem Steg eines Hafens. Unten bremst quietschend die U 35. Seit Monaten lebe ich in dem Wohnheim, aber an diesem Ort hier war ich das letzte Mal vor Jahren mit Hartmut.
    »Wir suchen eine Party«, sage ich zu meiner eigenen Überraschung. Auf dem Campus gibt es immer welche, das weiß ich noch. »Du bist der einzige Philosoph, der hier arbeitet«, habe ich früher immer zu Hartmut gesagt, »ansonsten malochen an dieser Akademie nur die Maschinenbauer und die Atomphysiker.« Hartmut regte sich daraufhin immer fürchterlich auf, woraufhin ich auf der Wiese vor seinem Institut die Philosophiestudenten fragte, was Schopenhauer eigentlich genau gesagt hätte. Hartmut kann es wörtlich samt Fußnoten und Erläuterungen. Die Antworten seiner Kommilitonen reichten von »irgendwas mit Pessimismus« bis hin zu »im Grunde das, was Matrix heute behauptet, aber nur der erste Teil«.
    Wir erreichen den Campus. Im Glaskasten vor dem studentischen Theater wirbt ein Plakat für ein Stück, das im April aufgeführt wird. Es heißt Tischtheater . Aus dem Kulturcafé ein paar Schritte weiter ertönt das Krachen frisch eingestöpselter Gitarren.
    »Da, siehst du!«, zeige ich zu den Menschen vor den Treppen. »Rockmusik und Bier für einen Euro. Auf die geistige Elite unseres Landes ist Verlass!«

    Nestor und ich verbringen drei Stunden bei der Newcomer-Veranstaltung. Ich fülle ihn ab, so schnell ich irgend kann. Die Bands sind miserabel, weil sie nicht miserabel sein wollen. Bei Eisenpimmel oder Köterkacke ist der Name Programm, aber wenn ernst dreinschauende Studenten den Foo Fighters Konkurrenz machen wollen, dabei aber spielen, als fiele ihnen der nötige Schlag auf das Becken immer genau eine Sekunde zu spät ein, fehlt einfach die Stimmigkeit. Trotzdem habe ich irgendwie Spaß, obwohl ich weniger trinke als mein hagerer Psychoklient, der einer Band ihre Demo-CD abkauft und auf der Theke beginnt, eine Rezension dazu auf eine Serviette zu kritzeln. Auf dem Klo, das wir immer nur gemeinsam aufsuchen, damit er sich nicht ertränkt, ist wieder leicht die Nickhaut zu sehen, als er während des Strullerns lallt: »Der Optimierungsbedarf am Schlagzeug kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass The Benevolant Three aus Essen-Kray im Post-Grunge eine Zukunft haben.«

    Pfffft.
    Pfffffffft.
    Pffffffffffffft.
    Um Mitternacht pumpe ich meine Luftmatratze auf, während Nestor bereits darauf liegt und schnarcht. Erfreut schaut Yannick sich an, wie der suizidale Körper sich hebt. »Er muss heute hier pennen«, erkläre ich dem Kater. »Damit er nicht noch mal vom Dach

Weitere Kostenlose Bücher