Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
springt.« Yannick schnurrt. Er hat nichts gegen einen Gast. Ein Gast ist Stimulation. Kaum habe ich Nestor auf Betriebshöhe gebracht und eine Decke über ihn geworfen, kuschelt Yannick sich in seiner Armbeuge ein.
»Ich könnte das persönlich nehmen«, sage ich, während ich meine Socken ausziehe und meine Schlafhose vor mich halte, als müsse ich prüfen, ob sie noch passt. Der Fernseher flimmert die Dauerschleife des Los-Angeles-Spiels vor sich hin, da ich ihn seit meiner Verfolgung Nestors heute Nachmittag nicht ausgeschaltet habe. Ich muss Hartmut immer noch darauf antworten, ob Yannick bei meiner Einreise in die Staaten die Haustier-Quarantäne inklusive intensiver Verhöre durch die Homeland Security erleiden musste, da viele Katzen schließlich von Persern abstammen. Nestor beginnt leise zu schnarchen. Yannick legt eine Pfote auf seinen Oberarm. Ich weiß, was ich Hartmut erzähle. Ich setze mich an den Rechner, öffne das Mailprogramm und gebe gespielt zerknirscht zu, dass ich nicht gelogen hätte, als ich schrieb, es ginge dem Kater gut. Er sei nur eben nicht bei mir, sondern bei meiner Mutter. Tagsüber im Grünen in der Baumschule, abends im Hochhaus mit spannendem Blick über die Stadt. Das klingt plausibel, denn auch, wenn ich niemals zurück nach Wesel gezogen wäre, ist es wahrscheinlich, dass ich sie vor der Abreise in die USA aufgesucht hätte. Schließlich kann man abstürzen. Hartmut wird mir glauben und sie nicht anrufen, denn er weiß nicht, wie er meine Mutter nehmen soll, da sie kaum spricht, vor allem nicht am Hörer. Ich schaue zu Yannick im Arm eines Fremden, der heute Nachmittag noch vom Dach springen wollte. Dann erfinde ich ein, zwei Anekdoten aus meinem Leben in den USA und sende die Post ab. Mario hat mir die Adresse des neuen Hauses in Hattingen geschickt, mit dem Namen der Vorbesitzer, »weil wir noch gar nicht angemeldet sind«. Weiter schreibt er nichts, sendet aber auch keine neuen Fotos vom verbitterten Liebsten. Ich bestelle das obskure Maffay-Tape bei Amazon, gebe die Adresse als Empfänger ein und bitte den Secondhand-Dealer, wenn möglich ein wenig Geschenkpapier drumherum zu wickeln und »Sorry!« draufzuschreiben. Die Pizza Prosciutto habe ich heute verpasst, das erste Mal seit Monaten. Der Schreibtisch bleibt kartonfrei.
> Ich
< Caterina
Die Ziege
18. 03. 2011
46° 44′ 53.03″ N, 8° 4′ 49.55″ E
Es zwitschert. Manchmal knirscht Kies unter Füßen, deren Menschen kaum sprechen. Es ist still hier. Nicht geräuschlos. Nur still. Die kurze Nacht hat sich gelohnt. Das Freilichtmuseum Ballenberg ist zwischen Bergen eingebettet. Die Sonne scheint, und sie wirken freundlich, sind aber zugleich derart mächtig und steil, dass von hier aus die Baumgrenze deutlich sichtbar ist. Wuchtige Hänge. Schlafende, steinerne Titanen.
Die Bauernhöfe aus den verschiedenen Jahrhunderten schmiegen sich in die sanften sattgrünen Wellen der Hügel des Freilichtmuseums, als wären sie organisch aus ihnen herausgewachsen. In den Häusern, die allesamt begehbar sind, fühle ich mich, als sei ich in Liliput. Erst dachte ich, die Menschen hätten sich früher einfach mit kleineren Möbeln, niedrigeren Decken und winzigen Türen begnügt, doch dann sah ich mir die Kleidungsstücke näher an. In den letzten vierhundert Jahren sind wir offenbar deutlich größer geworden.
In einem Haus liegt Uhrmacherwerkzeug; filigrane Rädchen und winzige Schräubchen. Natürlich. Was wäre die Schweiz ohne Uhren? Ich erinnere mich an ein Sprichwort zur Gelassenheit, das mein Süßer mal mit erhobenem, schaumbenetztem Zeigefinger zitiert hat, als er stundenlang in der Badewanne lag. »›Ihr habt die Uhren, aber wir haben die Zeit.‹ Sagt der Afrikaner.« Hier in der Schweiz haben sie beides. Neben dem ausgestellten Uhrmacherwerkzeug steht eine Schautafel. Stolz präsentiert sie ihr Wissen: Es waren die harten Winter in den Bergen, die so viel Langeweile aufkommen ließen, dass die Bergbauern sich Beschäftigungen suchten, für die in den kleinen Räumen Platz war. Sie fanden wohl Spaß an den Herausforderungen des Winzigen. Ich fotografie die grazilen Teile. Natürlich ohne Blitzlicht; das schont die alten Materialien.
Als ich wieder draußen stehe und meinen Blick über die in die Hügel getupften Höfe schweifen lasse, gerate ich ins Träumen. Das wäre kein schlechtes Leben für uns. Ein Hof. Vielleicht nicht ganz so bergig gelegen. Im Sommer wären wir viel draußen, im Winter ließen wir
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