Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Mann macht sich Notizen zu meinem Blutdruck und schaltet Musik ein. Chris Rea. Seine samtig kratzende Stimme raunt zu einem langsamen, bluesigen Rhythmus: »There’s nothing to fear/nothing to fear.«
»Wie ist denn Ihre momentane Lebenssituation?«, fragt Doktor Slepitzka und sieht mir dabei tief in die Augen.
Man kann Doktor Slepitzka nicht anlügen. Man kann ihm manche Dinge erzählen und manche eben nicht, aber lügen ist bei diesen Augen unmöglich. Ich erzähle ihm von den siebzehn reizlosen Quadratmetern und der Tatsache, dass ich mir zu wenig Zeit nehme, daraus etwas Interessantes für den Kater zu machen. Ich erzähle ihm vom Zielscheißen in meine Schuhe, Yannicks Idee mit den Spanngurten für die Pizzakartons und der Unendlichkeits-Acht, die er heute gelegt hat. Bei Chris Rea jault die Slidegitarre.
»Da ist noch mehr, oder?«, brummt Doktor Slepitzka und legt mir die Hand auf die Schulter.
Ich schlucke, werde schwach und erzähle ihm von der Auflösung meiner Wahlfamilie und meiner Reaktion auf alle, die mich zu irgendetwas anderem als Arbeit aus dem Haus locken wollen.
»Ist der Mensch betrübt, geht die Katze ein wie eine Primel«, sagt Slepitzka, nachdem ich unter dem Bannstrahl seiner Augen und dem hypnotischen Gebrumme des Schmuserockers alles gebeichtet habe. »Wollen Sie, dass Ihr Kater eingeht?«
Ich werfe einen Blick durch die Scheibe in das Stimulations-Areal. Yannick jagt einen Laserpunkt und kriegt ihn kein einziges Mal.
»Den Algorithmus haben Mathematiker vom Max-Planck-Institut in Bonn programmiert«, sagt Slepitzka. »Die Bewegungen des Lasers wiederholen sich nur alle 3,4 Milliarden Mal. Eine Katze, die den Punkt in absehbarer Zeit kriegen würde, hätte einen höheren IQ als Einstein.«
»Oder Reflexe wie ein Weltmeister im Senso .«
Slepitzka lächelt milde. Er winkt der Katzenlehrerin mit den Täfelchen, Yannick wieder zu uns zu bringen. Dann beugt er sich nahe an mein Ohr: »Sie gehen aus dem Haus. Sie stimulieren sich, damit Sie ihren Kater stimulieren können.«
Es ist mehr als ein Rat, sogar mehr als ein Befehl. Es ist eine Feststellung. Ich gehe aus dem Haus. Als hätte Gott einen Sturm befohlen. Chris Rea brummt: »There’s nothing to fear …«
Als ich das Wartezimmer passiere und der Locke hinterm Tresen »Auf Wiedersehen!« sage, sehen mich zwei Katzenaugen kopfüber an.
»Mäh?«
Yannick sitzt vor der Tür, als hätte er gehört, was der Doktor mit mir beredet hat. Ich soll rausgehen. Oder mit ihm spielen. Eines von beiden, aber nicht schon wieder auf dem Bett hocken und das blöde Auto durch Los Angeles lenken. Rechts von mir zischt erneut das lange Gebäude mit dem hellen Turm und dem runden Glasfenster vorbei, von dem ich nicht weiß, ob es eine Kirche oder eine Sektenzentrale ist. Am Horizont brennt es auf der Straße, eine kleine Feuersäule und grauschwarzer Qualm. So signalisiert einem das Spiel, wo es langgeht. Die Brände in der Stadt sind das, was für Skifahrer die Orientierungsstangen sind.
Worauf warte ich noch?
Ich weiß, dass ich entweder mich oder meinen Kater mit echten Eindrücken erfreuen muss, aber ich sitze schon wieder vor den virtuellen. Ich schalte das Spiel auf Pause, gehe zum Kühlschrank, nehme mir ein Bier und werfe Yannick ein Stück Salami hin. Er ist enttäuscht, denn es ist bereits fertig ausgepackt. Er schaut sich um, ob er etwas findet, in das er es wickeln kann, damit ihm wenigstens die Herausforderung des Aufnestelns bleibt. Ich trinke, einen Arm in die Hüfte gestemmt, und bin ratlos. Also tue ich, was Menschen heute tun, wenn sie ratlos sind und sich ihr Hirn wie Bauschaum aus dem Hornbach anfühlt – ich prüfe meinen Posteingang. Yannick findet nichts, um die Wurst zu verpacken, und entschließt sich dazu, sie anzustupsen und wie ein Beutetier vor sich herzutreiben. Mario sendet mir ein Foto von Jochen, wie er deprimiert im Sessel sitzt und seinen eingegipsten Arm hält. Das Raumlicht ist fahl, und Jochens Blick wirkt so verbittert wie der eines Unterhemdrentners, der seit zwanzig Jahren die Buchten vor seinem Haus beobachtet und noch nicht einen einzigen Falschparker anschwärzen konnte. Mario schreibt:
Jochen ist mein Mann. Sein heiteres Gemüt war für mich immer wie eine erogene Zone. Dein Schlag hat ihn ent-erogenisiert. Er ist mieser gelaunt als Heinrich der Achte, wenn sein Bein wieder eiterte. Und er ist ähnlich gnadenlos. Ich mache den Umzug alleine weiter. Nein, komm nicht! Ich wollte es Dich nur wissen
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