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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Appartement noch mal auf die Hälfte schrumpfen. Nur ein dunkler Schlauch ist noch übrig, an dessen Ende im Licht einer kleinen Schreibtischlampe ein Laptop surrt. Um an den Platz zu gelangen, muss man über Nestors »Bett« steigen, eine Matratze am Boden zwischen den Regalen. Auf dem Schreibtisch neben dem Rechner steht eine große Dose mit Pulver. Ein Sportlerdrink zum Auflösen mit aufdringlichem Schriftzug. Klotzige Buchstaben in Silber und Blau. Sie erinnern mich an den Titelbildschirm des alten Amiga-Spiels Body Blows . Ich sehe die Kämpfer vor Augen in den Treppenhäusern und auf den Parkplätzen und höre die schlichte Synthie-Musik, während die Fäuste fliegen.
    »Gib mir mal die Milch aus dem Kühlschrank. Und einen Becher. Komm, schnell!« Nestor winkt mit der Hand, ohne sich umzusehen.
    Ich öffne seinen brummenden Nahrungsverwahrer, greife den Tetrapak, nehme eine Tasse mit Werbeaufdruck des Teuto-Kletterparks bei Detmold, stakse über die Matratze und reiche Nestor die Sachen. Als er die Tasse nimmt, stutzt er einen Augenblick. Dann schaufelt er das Fitnesspulver aus der Dose hinein, gießt auf, rührt um, trinkt und tippt, noch ehe er den letzten Schluck ganz runterhat, wieselflink mit zehn Fingern einen Text in eine Maske. Ich folge den Zeilen auf dem Bildschirm.
    Wer ein kraftvolles Proteinpulver ohne Süßstoff sucht, wird an diesem Produkt nicht vorbeikommen. Es löst sich bestens in der Milch auf, unterstützt den Muskelaufbau nach dem Training nachweislich und besticht obendrein mit super Werten: 96,5% Eiweißanteil!
    »Was soll denn das?«, sage ich. »Du hast gerade mal den ersten Becher probiert. Du kannst über den Muskelaufbau doch gar nichts sagen. Und außerdem hast du eben nicht trainiert. Du hast versucht, dich vor meinem Fenster in den Tod zu stürzen.«
    Er schaut sich kurz zu mir um. Seine Augen haben eine fahle, graue Schicht bekommen, wie die Nickhaut bei Krokodilen. »Ich hatte vergessen, dass ich heute noch das Eiweißpulver und einen Vatikan-Thriller besprechen muss.« Er dreht sich wieder zum Bildschirm, schreibt seine Rezension zu Ende, vergibt fünf Sterne und sendet sie ab. Es ist ein Text für Amazon. Nestor wechselt in das Gesamtmenü seiner besprochenen Artikel zurück. Unter seinem Nutzernamen steht: Top 20 Rezensent.
    »Ich stelle mir das immer nur vor«, sagt er, schraubt die Eiweißdose zu, trägt sie an mir vorbei zu seinem leeren, von den Halogenstrahlern darüber hell erleuchteten Küchentisch, stellt sie ins Licht und macht ein Foto davon. Ich überfliege auf dem Monitor, über welche Produktsorten er schreibt. Es ist alles dabei, was man sich vorstellen kann. Spiele, Bücher, Küchengeräte, Schlittschuhe, Zahnpasta, Balancierseile, Rasierer, Karabinerhaken … »Weißt du? Ich phantasiere darüber, wie es wäre, wenn ich wirklich spränge. So, wie man sich vorstellt, dass in der Fußgängerzone ein Fußballverteidiger von hinten angerannt kommt und einen mit den Stollen voran umtritt. Oder dass ein irrer Verkäufer im Toom einem mit Zeigefinger und Daumen das Auge aufhält und Olivenöl hineingießt.« Er prüft die Fotos in der Digitalkamera, stellt die Eiweißdose in ein Regalfach mit der Aufschrift »Im Verkaufsbestand«, quetscht sich erneut an seinen Computer und richtet in Windeseile eine eBay-Auktion zu der Dose ein. Bestes Fitnesspulver von Ironmaxx. Nur ein Löffel fehlt! Bezahlung bar bei Selbstabholung oder per PayPal.
    »Kennst du so was nicht?«, fragt er, während seine Finger mit Maus, Tasten und Menüs Dinge machen, denen meine Augen trotz ihrer Erfahrung mit hundert gleichzeitigen Explosionen in Ballerspielen nicht folgen können. »So willkürliche Phantasien?«
    Würde ich jetzt ehrlich antworten, müsste ich zugeben, dass ich die Vorstellung mit der plötzlichen Blutgrätsche von hinten durchaus kenne. Stattdessen brülle ich ihm in den Nacken: »Du hast dich am Geländer nicht Phantasien hingegeben, du hast tatsächlich darauf balanciert!«
    »Echt?«, fragt er, als wüsste er das nicht mehr. So wie man vergisst, was man noch gleich in der Waschküche wollte oder ob man beim Weggehen den Herd ausgemacht hat. Die Auktion zu dem Eiweißpulver ist eingestellt. Nestor greift nach einem 2500-seitigen Taschenbuch, schlägt es auf, hält es in der linken Hand und öffnet gleichzeitig mit der rechten einen Wikipedia-Eintrag zu dem Autor, der es verfasst hat, sowie zwei Kritiken auf den Onlineseiten von Spiegel und Focus, die es über das Buch

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