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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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fast feindselig, daß Elspeth sich um ihre Wunde kümmerte.
    „Sollte ich vielleicht zulassen, daß er dich umbringt, Moir? Hätte ich lieber nicht dazwischengehen sollen?“
    „Vielleicht.“
    „Also, was soll werden? Reden wir offen darüber. Wir haben einen langen Marsch vor uns und vielleicht ein langes Leben miteinander. Ich will nicht, daß irgendwelche Mißgefühle im Hintergrund schweben und unsere Beziehung im ungeeigneten Moment gefährden.“
    „Er wird mich töten“, sagte sie finster und faßte an den Beutel, den sie am Halse trug. Etwas Hartes war darin. „Wenn ich ihn nicht vorher umbringe!“
    „Hier bringt niemand irgendwen um, Moir. Verstehst du? Ich will, daß ihr zwei Kinder …“ – sie betonte dieses Wort – „… miteinander auskommt. Wenn ihr’s schon nicht übers Herz bringt, euch zu lieben, dann hört wenigstens um unser aller willen mit euren ewigen Streitereien auf!“
    Darren rief etwas, und sie wandte sich um. Er hockte auf einem Felsbrocken und spähte den Hang hinauf in das Gewirr von Bäumen und Steinen, das ihnen für die nächsten paar Meilen den Weg erschwerte.
    „Was ist?“ rief sie.
    Erregt winkte er ihr, still zu sein. Offenbar hatte er etwas gehört, höchstwahrscheinlich einen Menschen. Sie suchte die zerrissene Landschaft ab und entdeckte schließlich schwache Bewegungen hinter einem Haufen Felsbrocken. Sofort versteifte sie sich; ihr Mund wurde trocken, sie stellte sich vor, daß Gorstein auf einmal vor ihr stünde, bösartig grinsend, ein blitzendes Metallschwert schwang und schrie: „Jetzt findest du’s nie mehr!“
    Sie rannte zu Darren hinüber und hockte sich neben ihn. Sie betete, flehte die unsichtbaren Kräfte an, die das Schicksal formen, es möge nicht Gorstein sein. Sie war noch nicht bereit, ihm entgegenzutreten – noch nicht bereit, mit ihm zu kämpfen und den Tod zu riskieren …
    Moir stieß einen warnenden Schrei aus, ganz unvermittelt, und Darren fuhr in der Hocke herum, verlor beinahe das Gleichgewicht und sprang dann auf die Füße. Hinter einem großen Felsbrocken erschien Iondai mit erhobenen Händen. Er mußte um die Windung eines natürlichen Pfades gekommen sein, der einen der nächsten Hänge schnitt. Darren entspannte sich, doch seine Erleichterung war nicht halb so groß wie Elspeths.
    „Ich bin allein“, rief der Seher, doch gerade diese Beteuerung machte Darren mißtrauisch. Er sprang auf einen Block und suchte die Umgebung ab. Nach einer Weile winkte er und kletterte wieder herunter.
    „Was machst du hier oben?“ fragte er.
    Der Alte lächelte nervös. „Ich klettere.“
    „Wohin? Zum Tal hinunter?“
    Iondai schüttelte den Kopf und sah Elspeth an. „Wo du vermutlich auch hinwillst“, sagte er.
    „Zur Erdwind-Höhle? Ich dachte, die Aerani hätten so große Angst davor? Die beiden hier bestimmt.“
    Iondai setzte sich auf den Stein und rieb sich die Augen. „Ich bin müde. Sehr müde. Ich habe nicht halt gemacht, seit ich den crog verlassen habe. Außer als ich hörte, daß ihr hinter mir herkamt“, schloß er mit einem bedeutsamen Blick auf Elspeth. „Und ich habe mich gerade lange genug aufgehalten, um euch dienlich zu sein.“
    Sie hatte sich halb und halb gedacht, daß es Iondai gewesen sei, dort im Tunnel. „Wofür wir dir sehr danken“, entgegnete sie. „Aber warum gehst du zur Höhle?“
    Iondai starrte über das Tiefland. Er hatte die Augen halb geschlossen, als wolle er mehr in sich aufnehmen als nur den Wind und die Schönheit der Hunderte von Meilen Grünland, das vor ihm lag. Wolken von Schwarzflüglern, die an der Grenze der Marsch aufstiegen, sahen vor dem grauen Himmel aus wie Rauch. In der Ferne waren plötzlich schwarze Flecken aufgetaucht; sie spähten angestrengt hinüber und fragten sich, was diese Panik verursacht haben könnte. Dann sagte Iondai beinahe traurig: „Ich bin verwirrt und bestürzt. So etwas kommt manchmal vor. Seit vielen Zyklen befrage ich das Orakel, doch jetzt, zum erstenmal, seit ich in die Höhle gehe, seit ich, noch als ganz junger Mann, die Quelle des Erdwindes gehört habe, fühle ich mich dem Orakel entfremdet. Irgendwann habe ich irgend etwas falsch gemacht und habe nicht einmal gemerkt, daß da eine Störung war. So muß ich also zurückgehen und noch einmal dem Lied des Erdwindes lauschen. Vielleicht kann ich entdecken, was geschehen ist, vielleicht kann ich es mit diesem seltsamen Orakel deines Freundes Ashka abstimmen und zu einem neuen Verständnis

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