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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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gesprochen … ihrer und seiner eigenen. Nicht diese Welt ist es, hatte er gesagt, sondern unser Denken. Wir müssen – unbewußt – uns darauf einstellen, daß das Zeitsystem auf dem Aeran anders ist; doch wie bei dem Computer auf dem Schiff war diese Erkenntnis – aus irgendeinem Grunde – mit einem Zentrum liiert, das nicht mit der höheren Cortex kommunizieren konnte. Es war ein sehr primitives Zentrum, in dem die Reaktion auf die fluktuierende Zeit stattfand …
    Zentrum? hatte sie gefragt. Ein Zellhaufen, hatte er erklärt, der für eine bestimmte Aufgabe verantwortlich ist – wie etwa das Konstanthalten der Körpertemperatur oder die Überwachung des chemischen Gleichgewichts im Körper.
    Dieses spezielle Zentrum, eine Zellgruppe, die als Gehirncomputer fungierte und Veränderungen im Zeitablauf entdeckte, war vielleicht durch Evolution in primitiven Tieren entstanden, als solche Veränderungen etwas ganz Gewöhnliches waren. Doch zu der Zeit, als sich der Mensch entwickelt hatte, mochten diese Fluktuationen aufgehört haben, wenn auch nur vorübergehend, denn in Irland hatte es im Steinzeitalter eine örtlich begrenzte Veränderung gegeben. Doch während der größten Spanne seiner Existenz hatte der Mensch immer nur in einem stabilen Raum-Zeit-System gelebt. Das winzige Zentrum war durch den Nichtgebrauch untergegangen, überflüssig geworden und ins Dunkel gestoßen worden. Wer wußte, wohin? Wer konnte wissen, wie viele solcher winzigen Zentren unentdeckt und unverwertet im menschlichen Hirn verborgen lagen? Doch dieses eine, dieses Zeitsinn-Zentrum besaß jeder Aerani, und er hatte die Veränderung wahrgenommen.
    Wie der Erdstrom im Fels, so flossen Zeit und Energie präzise und systematisch durch die menschliche Hirnrinde, und dieses System war ein Teil der evolutionären Erbschaft, vielleicht etwas der Hirnoberfläche für immer Eingedrucktes. Als sich dieses System, dieses Zeitmuster geändert hatte, war der Hirnrinde – vielleicht mittels des Zeitsinnes – bewußt geworden, daß sich die Zeit verändert hatte. Vielleicht hatte dieses winzige Zentrum in einem primitiven Hirngebiet das neue Muster erkannt und hatte dann alle notwendigen Adaptierungsmaßnahmen in Gang gesetzt, damit der Verstand dem Körper folgen und einen glatten Übergang in die neue Umwelt vollziehen konnte – es hatte unter anderem das ching abgestoßen, weil es in einem prädestinierten Universum nutzlos war …
    Hatte es auch die Erinnerung an das alte Universum abgestoßen? Lag der Grund für den Zerfall ihrer Persönlichkeit in ihr selbst? Lauerte irgendwo zwischen den stummen Zellen ihres Gehirns ein längst verlorengegangener Mechanismus, der dort vor Äonen installiert worden war, damals, als die Schwankungen des tao, die, wie Ashka meinte, solche Unordnung in den Zeitablauf brachten, etwas ganz Gewöhnliches waren, so daß immer wieder ein Adaptionsprozeß stattfinden mußte?
    Der Schatten in dem Traum, den sie vor ein paar Tagen geträumt hatte, erschien in neuer Gestalt, nicht mehr so unheimlich, aber beinahe noch furchterregender, denn das Gesicht der Bestie war ihr eigenes Gesicht, und sie konnte gar nichts dagegen machen.
    Ashka hatte nur einen Aspekt erwähnt, einen vagen Gedanken … wenn das Zeit-Zentrum so tief vergraben war, konnte es sein, daß es jetzt nicht ganz richtig funktionierte; es war von grundlegender Bedeutung zu wissen, ob die Veränderungen, die die Menschen erlitten, auch die richtigen durch das Zeitzentrum ausgelösten Veränderungen waren und nicht die Auswirkungen eines Zeitzentrums, das sich mehr oder weniger erfolgreich bemühte, Veränderungen bei durchtrennter Leitung in die höheren Hirngebiete zu kommunizieren.
    Das letzte, das Ashka zu ihr gesagt hatte, bevor ihr Verständnis völlig aussetzte, fiel ihr wieder ein und wollte jetzt, da sie so tief in ihre Überlegungen verstrickt war, gar nicht mehr weichen: Bilder, Klänge, Buchstaben und Formen gleichermaßen sind Symbole (hatte er gesagt) und können sämtlich dazu verwandt werden, kodifizierte Gedanken oder Veränderungen zu kommunizieren … und einige der Symbole auf dieser Welt, vielleicht auch auf unserer eigenen Welt in fernster Vergangenheit, veranlassen uns zu Handlungen, ohne daß wir wissen, warum wir so handeln … oder sogar, daß wir überhaupt so handeln …
    Es war natürlich eine Binsenwahrheit, aber wie so manches durchaus Vernünftige war es Elspeth nie in den Sinn gekommen, bis sie es gehört hatte. Das waren

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