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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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restlichen Schwarzflüglerstücke auf eine große Platte Rinde. Elspeth hatte vor, für ein paar Stunden in den crog zurückzugehen und sogleich die Tatsache auszunutzen, daß sie ihren ersten Schwarzflügler erlegt hatte und nunmehr berechtigt war, im inneren Kreis der Erdwälle zu sitzen, mit den anderen Initiierten, die nach und nach ins Herz der Siedlung zurückkehren würden. Dann würde sie mit ihrer Raumfähre auf das im Orbit kreisende Schiff zurückfliegen, ihre Erlebnisse und Entdeckungen aufzeichnen, und dann – ein langes Bad, eine Stunde im Sanitätsraum, ein voller Tag Schlaf. Sie war gebissen, zerschunden, durchgeschüttelt worden, zuviel für ein Mädchen und für einen Tag. Jetzt war taktvoller Rückzug angebracht.
    Bei ihren früheren Besuchen dieses Planeten war sie immer außerhalb der mächtigen Erdwälle geblieben, in Gesellschaft von zwei, drei Heranwachsenden, die gerade ihr Selbsterprobungsprogramm begannen. Hier hatte sie mit Jugendlichen und Erwachsenen gesprochen, hatte ihr Vertrauen gewonnen, ihr Interesse erregt; man hatte ihr sogar erlaubt, die äußere Umgrenzung abzuschreiten – das war der Graben zwischen den doppelten Wällen des crog (der Dünengraben, wie sie es nannten). In der ganzen Zeit hatte sie sich die größte Mühe gegeben, bei allem, was sie sah, Hinweise auf die kulturelle Bedeutung aufzuschnappen. Abgesehen von ein paar Zusätzen und Auslassungen war die Kolonie auf dem Aeran nichts Geringeres als die vollkommene Rekapitulation einer bestimmten Steinzeitkultur des Planeten Erde, zum mindesten hinsichtlich des Gräberbaus und der Steinornamentik dieser Kultur. Und diese Runen, diese Symbole waren faszinierend. Sie hatte dergleichen in Irland gesehen, auf dem zeitlosen Antlitz der Steine bewahrt, und sie hatte sich gefragt, was sie bedeuteten. Doch die Phantasie ist der schlimmste Feind der Vernunft, und so war ihr nichts geblieben als der Schmerz des Nichtverstehenkönnens. Hier aber lebten sie wieder, waren lebendige Symbole einer lebendigen Kultur. Sie mußte einfach herausbekommen, was sie bedeuteten und was hier geschehen war … Aber die ganze Zeit hatte sie es mit einem einzigen Problem zu tun gehabt: Namen und Bedeutungen mit Formen und Bildern zu verknüpfen. In über vierzig Stunden hatte sie nur sieben Runen interpretieren können; und wenn Austin recht hatte, dann blieb ihr nicht mehr viel Zeit.
    Und es gab ein Symbol, das sie nie gesehen hatte und das bis heute noch nicht einmal erwähnt worden war: den Erdwind. Darren war ihr irgendwie bedrückt vorgekommen, als er vom Erdwind sprach, bedrückt, weil sie ihn nicht verstand. Er schien es kaum glauben zu können, daß jemand mit diesem Symbol nicht völlig vertraut war. Er hatte ihr gesagt, es sei das Symbol, das ihnen das Leben gegeben hatte. Offenbar ein Erd- oder Mutterleibssymbol. Doch ebenso offensichtlich war es für die Aerani etwas von überragender Wichtigkeit. Ihre nächste Aufgabe mußte es sein, dieses Symbol zu ergründen.
    Bei ihrem Plänemachen hatte sie gar nicht bemerkt, daß Darren vor ihrem Schlupf stand und nach Süden zum Himmel emporblickte.
    „Fertig?“ fragte sie. (Ob er etwa böse war, weil sie ihm nicht geholfen hatte?)
    „Still. Horch!“
    Elspeth kroch hinaus und stand auf. Sofort hörte sie es – den Ton, der ihn beunruhigte. Ein jaulender, heulender Ton, sehr weit weg – aber er kam näher.
    Sie schaute durch das Blätterdach, das in diesem Teil des Waldes nicht sehr dicht war, in den grauen Himmel, wo spiralige Wolken über dem Dschungel wirbelten, von den Seen bis hoch hinauf zu den schneebedeckten Bergen. Der Ton hielt sich schwebend unterhalb der Gipfel, ritt auf dem Wind, breitete sich über dem Wald aus.
    Lauter jetzt!
    Der rhythmische Takt der Pulsatoren, die ein Raumschiff mit Unterschallgeschwindigkeit vorwärtstreiben, das Heulen des Stabilisierungsfeldes, das Kreischen von Metall, das sich im Fahrtwind abkühlt … für Elspeth vertraute, für Darren erschreckende Geräusche.
    Der Jüngling war bleich unter seinem Pelz und blickte sie angstvoll an; doch da sie nicht floh, blieb er ebenfalls stehen.
    „Weißt du, was das ist?“ fragte er und erstickte fast an seinen Worten.
    „Ja. Ja, das weiß ich …“
    „Ein Tier? Ein neues Tier …“ Er dachte wohl an die Prophezeiung des Orakels. Neues Tier. Etwas aus den Sümpfen, hatte er sicherlich geglaubt. Doch dieses Flugtier kam nicht aus den Sümpfen des Aeran.
    Das Schiff gelangte gar nicht in ihren

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