Erdwind
Gesichtskreis, sondern flog auf die Lichtung des crog zu. Am Wechsel des Rhythmus der Maschinen war deutlich zu erkennen, daß es die Fahrt verringerte und zur Landung ansetzte.
Als es außer Hörweite war, merkte Elspeth, daß sie fast ebenso stark zitterte wie Darren, der zu dem toten Schwarzflügler hinüberging und sich dort stumm und bedrückt niederhockte.
„Davor brauchst du keine Angst zu haben“, rief sie und ging zu ihm. Ich rede ja furchtbaren Unsinn. Wer weiß, was die hier vorhaben.
Eine fließende Erinnerung an ihre Kindheit: an die weitläufige Metropole Neu-Anzat auf der Pleidase IV, an das ständige Rumpeln der Raketenschiffe über der Stammeshauptstadt. An jenen Tag der großen Schmerzen, an die rituelle Brustamputation, die sie ertragen hatte, unter den Objektiven der Kameras, ohne einen Wehlaut, ohne eine Träne. An die großen Schiffe, die durch die Wolken gestoßen waren und die Invasion in das wüste Land der nördlichen Hemisphäre getragen hatten. Vor dem abscheulichen akustischen Hintergrund dieser röhrenden Schiffe hatte sie zugesehen, wie ihr Leib auf barbarisch schöne Weise verstümmelt wurde. Wie die blitzenden Juwelen in das rohe Fleisch der Wunden genäht wurden. Die Hymnen, das Heulen der Raketen, der Ozongeruch, das schreiende, stöhnende, formlose Geschiebe der Tausende von Stämmen, die in dieser Riesenstadt zusammengepfercht waren, tanzend, lachend, die Initiationsrituale der verschiedenen ethnischen Gruppen feiernd.
Sie erinnerte sich an ihre Freunde – so viele Freunde, so viele Tränen …
Doch als sie versuchte, sich an die Namen, die Gesichter zu erinnern, merkte sie, daß hierin ihr Gedächtnis versagte; davon war nichts mehr zurückgeblieben; die einzigen Erinnerungen waren die an das tödliche Gleiten des Operationsmessers, das ohrenbetäubende Donnern der Raketen, die feuchten Lippen des Chirurgen … er schnitt … er schnitt …
Ihre Freunde waren weg. Die Sekunden vor dem Ritual waren weg. Angestrengt versuchte sie, sich ihr Leben vor der Initiation ins Gedächtnis zurückzurufen … sie wandte sich von Darren ab und fing an zu schreien. Ihre Schreie hallten durch die Lichtung und wurden von den Resonanzböden der winkenden Blaurindenbäume durch den Wald getragen. Voller Überraschung und Schrecken sah Darren sie an, dann rannte er zu ihr und rief sie laut beim Namen.
Immer weiter schrie sie. In ihrem Kopf war Leere, Dunkelheit, ein Nichts, das sie jetzt erst erkannte.
Schiffe.
Schluchzen.
Drängen, Starre, Schmerz …
Doch nichts von dem, was vorher war. Die Vergangenheit entglitt ihr bereits. Sie wußte, daß es so kommen würde, sie hatte es erwartet; aber daß es wirklich geschah, war ein Schock, den sie nur ertragen konnte, indem sie schrie.
Als sie zu schluchzen aufhörte, hielt Darren sie noch im Arm. Es war dunkel. Irgend etwas war aus dem Dschungel herausgekrochen und hatte die restlichen Schwarzflüglerstücke geraubt.
2
In weiten Windungen erkundete das Fahrzeug die Landschaft des Aeran, fädelte sich langsam durch und um den Wald, brach krachend durchs dichte Unterholz, umfuhr zackige Felsen und stürzte sich, Nase voran, in bitterblaue Flüsse, trieb mit der Strömung abwärts, heftig schaukelnd. Und ständig hielt es scharf Ausschau.
Es kam aus dem Wasser und stieg das Flußufer an einer Stelle hinauf, wo behauene Steinpfeiler darauf hinwiesen, daß hier ein alter, nicht mehr benutzter Landungssteg war, primitiv und roh zwar, doch immer noch ein Schutz gegen die kreisende Spirale der Zeit, die tosenden Winde, den ertränkenden Regen. Vor hundert Jahren vielleicht hatte an dieser kleinen Station ein Boot oder Floß vertäut gelegen. Das Fahrzeug schimmerte gelblich, seine lange nicht in Aktion gewesenen beweglichen Teile knarrten, wenn die Antennen sich drehten und die Kameras ausfuhren, die Landschaft abkreisten und in sich aufnahmen.
Knirschend und keuchend fuhr es weiter, versengte pflanzliches Leben beim mühevollen Erklettern steiler Anhöhen, knallte Oxygen in die Luft, das einen leichten Ozongeruch hinterließ, wenn elektrische Entladungen in die nie umgepflügte mineralreiche Erde fuhren.
Meilenweit entfernt von den Augen des Fahrzeugs befanden sich die Augen Karl Gorsteins, Schiffs-Meister der Gilbert Ryle. Er saß in seiner gemütlich warmen Wohnkajüte bei abgedämpften Lampen, ein Hauch Rosenparfüm lag in der Luft, leise rauschte der Ventilator, so daß die roten und blauen Draperien sich fast unmerklich bewegten
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