Erdwind
die Knie. Als er sie leise auflachen hörte, schüttelte er den Kopf und lachte auch. „Ich war noch nie sehr kräftig.“
„Bestimmt haben die anderen Kinder Sie oft verhauen, als Sie noch klein waren“, sagte Elspeth mühsam, während sie sich hochrichtete und sich auf die Beine stellte – ein ungewohntes Gefühl im Moment. Sie sah auf den alten Mann hinab. Er lächelte.
„Ich war zu schlau. Ich redete mich immer heraus.“
„Das können …“ Sie fuhr zusammen. „Das können Sie also gut. Mein Gesicht tut mir zum Sterben weh.“
„Heutzutage bin ich dessen nicht so sicher, daher habe ich meine Automatik mit. Stützen Sie sich auf mich, wenn Sie wollen.“
Sie sah ihn an, und er lächelte verständnisvoll. „Nein, lieber nicht.“
„Ich glaube, ich gehe lieber allein“, sagte sie, „aber vielen Dank für die gute Absicht.“
Ihre Fähre lag fast so, wie sie sie am Morgen verlassen hatte, halb versteckt unter toten Pflanzen und dem Tarnnetz, das sie darübergezogen hatte; aber jemand war mit Gewalt eingedrungen, das war ohne weiteres zu sehen. Diese Zubringerfahrzeuge waren nicht einbruchsicher konstruiert, sondern im Gegenteil so, daß der Benutzer, wenn er von einem Rekognoszierungsgang zurückkam und nachlässigerweise die Schlüsselscheibe vergessen hatte, immer noch ohne große Schwierigkeiten hineinkam. In der Fähre gab es selbstverständlich nichts Wertvolles, doch Raub war auch nicht das Motiv des Eindringlings gewesen.
Betroffen starrte der Alte durch das offene Einstiegsluk. „Wir haben Sie heute früh landen sehen. Ich bin sofort nach Abbruch der Versammlung hergekommen, und da war es schon so.“
„Diese Jenseitler!“ murmelte sie. „Wetten, daß Ihr Schiffs-Meister die Steuervorrichtung abmontiert hat?“
„Das hat er. Er will wissen, wer Sie sind. Bestimmt wird er vernünftig sein und sie Ihnen wiedergeben.“
Ich sitze hier fest, war ihr erster Gedanke. Ein kalter Schauer durchfuhr sie, war jedoch schon vorbei, als sie sich über diese unwillkürliche Angstreaktion klar war. War das denn wirklich so wichtig? Auf jeden Fall war es zu spät, um die langsame Auflösung der Erinnerung an ihre Vergangenheit aufzuhalten. Die Zersetzung hatte bereits begonnen, und wenn es immer so lief wie bei Austin, dann würde die Zersetzung weitergehen, ob sie nun von hier wegging oder nicht.
„Die Versammlung wurde abgebrochen …“
„Es gab einigen Ärger“, lächelte der alte Mann, „wir wurden rausgeschmissen. Eine sehr rätselhafte Kolonie …“
„Ja.“ Unbewußt nickte sie zustimmend, wechselte aber brüsk das Thema. „Da gleich im obersten Fach ist ein Erste-Hilfe-Kasten. Bringen Sie ihn mir, bitte?“
Sie setzte sich am Ufer hin und wartete auf den Rationalisten. Von ihrem Platz ganz unten an dem spärlich bewachsenen Flußrand konnte sie nur Dschungel sehen. Von ferne hörte sie Tierschreie, konnte sie aber nicht identifizieren. Wie immer lag stechender, leicht fauliger Pflanzengeruch in der Luft, doch daran gewöhnte man sich bald, ebenso wie man den geringeren Sauerstoffgehalt der Atmosphäre nicht mehr empfand, sobald man das anfängliche Unbehagen bei der Ankunft überwunden hatte.
„Mein Name ist Peter Ashka“, sagte der alte Mann, setzte sich neben Elspeth und gab ihr zwei kleine, weiße Kissen.
„Elspeth Mueller“, murmelte sie und drückte sich die Kissen an die Wangen. Sie kniff die Augen zu, als Myriaden winziger Nadeln injizierend und absorbierend in ihre Haut drangen.
Ashka streckte die Hand aus und schüttelte ihren kleinen Finger mit dem seinen. Sie lächelte.
„Sieht man so deutlich, daß ich Schiffs-Rationalist bin?“ fragte er. Er rückte näher zu ihr, und dabei zog sich sein Körper fast in sich selbst zusammen; er verschwand beinahe in dieser unpraktischen Robe. Er muß frieren, dachte Elspeth mit einem Seitenblick auf ihn. Sie nickte.
„Nicht unbedingt Schiffs-, aber jedenfalls Rationalist. Gleich habe ich es allerdings nicht gesehen. Ich bin seit einer ganzen Weile ein bißchen weg von alledem.“
„Weg von alledem? Wovon? Von der Zivilisation?“
Elspeth lachte und bedauerte das sofort. Sie hoffte, ihr Lachen hatte nicht zynisch geklungen, aber der Wert dieser Bezeichnung kam ihr ziemlich eingeschränkt vor, seit sie mit der Aerani-Kultur in Berührung gekommen war, einer Steinzeitkultur – einer sehr hohen Kultur jedoch, nach dem einzigen Maßstab, der ihrer Ansicht nach von Betracht war: dem hohen Grad ihrer Kommunikation und
Weitere Kostenlose Bücher