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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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solltest.“
    Sanft und liebevoll strich Moir ihr das Haar aus dem Nacken und streichelte zärtlich die weiche Haut. Elspeth erschauerte vor Wohlgefühl. „Das ist schön. Aber du bist nicht vom richtigen Geschlecht.“
    „Ich mag nicht, daß du so bedrückt bist.“
    „Ich mag es auch nicht, Moir.“ Sie wandte sich um und sah dem jungen Mädchen ins Gesicht. „Du warst gestern so feindselig zu mir, so ablehnend.“
    „Ich hatte Angst vor dir.“
    „Aber jetzt nicht mehr?“
    Moir schüttelte den Kopf. Lächelte. Sie fuhr mit der Hand an Elspeths Hals herab und um den Ausschnitt der Jacke. Wo die Haut über den zwei kleinen Diamanten gespannt und empfindlich war, spürte Elspeth die Finger des Mädchens – verführerisch, versuchend; sie tasteten und gingen wieder, fühlten in der Hautfalte zwischen Weichheit und kristallener Härte. Elspeth beugte sich vor, ihr Körper zitterte der jugendfrischen Berührung entgegen, sie preßte ihren Mund auf Moirs Lippen. Moir wich nicht zurück, sondern schloß die Augen, tastete Elspeths Zunge mit der ihren ab, ließ die Hand fester auf ihrem Körper ruhen.
    Befangen löste sich Elspeth. Die beiden Mädchen starrten einander sekundenlang an und ließen sich dann los, wandten die Köpfe und blickten auf die Blätterwand, aus der im aufkommenden Wind fremdartige Töne erschollen.
    „Ich verstehe gar nichts“, sagte Moir leise, „überhaupt nichts. Es ist alles so dumm. Aber fürchterlich ist es auch. Ich bin sehr froh, daß die Ungenn und alle Familien so böse darüber waren.“
    „Du widersprichst dir ja! Eben hast du gesagt, sie hätten nicht böse sein sollen.“
    „Habe ich das gesagt?“ Sie legte den Kopf auf die Knie. Ein Parasit, eine kleine, glänzend schwarze Kreatur, kroch an ihrem Bein hoch, sie faßte rasch zu und zupfte das Tierchen aus ihrem Pelz. Langsam riß sie ihm die Beine aus und sagte dabei: „Also, das habe ich mir anders überlegt. Jetzt bin ich froh, daß sie böse waren. Die Jenseitler bekamen anscheinend Angst.“
    „Aber sicher“, nickte Elspeth und sah zu, wie die Stücke des kleinen Parasiten zwischen Moirs Beinen zu Boden fielen. „Es ist eine Angst, die eigentlich keinen Sinn hat, aber Angst hatten sie. Sie hatten Angst, als die Ungenn sich so hartnäckig weigerten, das Angebot anzunehmen, aber als das Tangelkraut die beiden Leibwächter entwaffnete, hatten sie keine Angst mehr. Hast du das bemerkt?“
    „Sie wußten gar nicht, was geschah“, lachte Moir, „es ging so schnell.“
    „Aber der Schiffs-Meister nahm es sehr übel. Ich dachte, Darren und sein Vater – dein Vater – würden einmal, als er so überheblich war, auf ihn losgehen.“
    „Ich ärgere mich mächtig über meinen Vater“, sagte Moir bissig. „Er und Darren gehorchen dem Orakel nicht – oder jedenfalls gehorchen sie nur, wenn es ihnen paßt. Aber das Orakel weiß Bescheid, und sie sollten sich mehr nach ihm richten.“
    Beide fielen in Schweigen, und dann griff Elspeth in die Tasche und holte das Pulver aus dem Hügel hervor. Sie starrte es an; es war ihr ein bißchen unangenehm, und schließlich ließ sie es durch die Finger zu Boden rinnen. Asche – unverkennbar Asche und pulverisierte Knochen.
    Da hörten die beiden Mädchen, wie jemand aus dem Tunnel des Hügels herauskroch. Sie fuhren herum, starrten auf den Erdaufwurf, warteten eine knappe Sekunde, blickten einander entsetzt an, sprangen auf und rannten los.
    Mit Windeseile verschwanden sie im Wald, blieben stehen, starrten zur Lichtung zurück und begannen dann einen sehr vorsichtigen und schmerzensreichen Rückzug.
    „Wir müssen uns trennen“, schrie Elspeth – aber sie hätte es gar nicht zu sagen brauchen, denn Moir war schon ein ganzes Stück voraus.
    Elspeth wechselte die Richtung und rannte zum Fluß. Als sie einen Moment stehenblieb, um zu lauschen, konnte sie nichts mehr von Moir hören, aber den Verfolger hörte sie ganz deutlich. Wahrscheinlich einer, vielleicht zwei waren hinter ihr her – und sehr schnellfüßig.
    Sie zwang sich, nicht auf die Dornen und die scharfen Ränder bestimmter Blätter zu achten, über die sie sonst hinübersprang oder denen sie mit größter Vorsicht auswich. Laut und atemlos pflügte sie durch den Wald; wenn man sie fangen würde, mußte sie das Schlimmste fürchten, und sie war fest entschlossen, sich nicht erwischen zu lassen. Ein Stück weiter den Fluß entlang, gut versteckt, lag ihre Fähre.
    Ihr Verfolger – Mann oder Frau – holte stetig auf.

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