Erdwind
Kooperation mit der Natur, die sie nutzten, ohne drastische ökologische Veränderungen zu verursachen. In ihrer Vorstellung sah sie diese Definition durch ihr Hirn laufen, vielsilbige Wörter in glänzend schwarzer Druckschrift. Sie dachte oft in Definitionen, ein Überbleibsel der intensiven Fachgelehrsamkeit ihrer Jugend.
„Daher kommt es vielleicht“, entgegnete Ashka, „daß ich nicht genau determinieren kann, wer oder was Sie sind. Das soll übrigens eine sehr geschickt formulierte Frage sein.“
„Damit ich nicht merken soll, daß Sie mich ausspionieren. Ah – diese Rationalistendiplomatie!“
„Wir arbeiten auf Ebenen, von denen die meisten Menschen gar nicht wissen, daß sie sie in sich haben.“
Ein alter Rationalistenscherz. Elspeth lachte, weil das leichter war, als den alten Herrn in Verlegenheit zu bringen. Sie spürte ein warmes Tröpfeln an ihrem Handgelenk und nahm das Kissen von ihrer rechten Wange. Dunkles Blut war von dem Absorptionskissen auf ihre Haut gelaufen, und sie fluchte leise. „Immer erwische ich die undichten! Immer!“
„Ihr Gesicht sieht schon viel besser aus. Tut es noch weh?“
Tatsächlich war der Schmerz weg. Komisch, dachte sie, wenn der Schmerz aufhört, merkt man es manchmal gar nicht, doch wenn er kommt, steht er im Mittelpunkt des Bewußtseins.
„Es ist schon besser, Opa. Viel besser.“
„Sie können Ashka zu mir sagen, wenn Sie wollen …“
Elspeth hatte gar nicht gemerkt, was sie da gesagt hatte. Sie war in die lässige Sprechweise und Haltung zurückgefallen, mit der sie gelebt hatte, in der sie aufgewachsen war. Respektlosigkeit war fast eine Weltanschauung. In mehrjähriger Abwesenheit von ihrer Heimatwelt war ihr diese Haltung abhanden gekommen, daher hatte sie es jetzt als evolutionär erfrischend empfunden, wieder einmal so zu reden. Doch sie kam sich scheußlich vor. „Ich bitte um Entschuldigung, Ashka. Ehrlich.“
Sie faßte seine Hand, doch in seinem Gesicht war keine Empfindlichkeit zu lesen; er sah so gelassen und heiter aus wie vorher. Schließlich war er Rationalist; er wußte zuviel, um anderer Leute Schwächen auf irgendeine Weise in jene private geistige Ebene eindringen zu lassen, die ihm ganz allein gehörte.
„Ich wette, Sie wissen, woher ich komme“, lächelte sie.
„Neu-Anzar, jawohl. Ich glaube, halb und halb habe ich das schon an Ihrem Aussehen erkannt.“
„Daß ich so groß bin, meinen Sie. Nun, das ist schließlich nicht so selten.“
„Ich meinte Ihre Stammesnarben. Sind das Diamanten?“
Sie schob das lockere Jackett zurück, so daß sich das schwächliche Sonnenlicht in den leicht bestaubten Facetten ihrer Brüste fing. Ashka starrte lange hin. Elspeth waren seine forschenden Blicke auf die Dauer etwas unbehaglich, doch schließlich sah er weg und schüttelte den Kopf. Er murmelte etwas – sie glaubte, ‚barbarisch’ herauszuhören.
„In der Stammeshauptstadt werden noch viel schlimmere Sachen gemacht. Manche Initiationsriten bei den äquatorialen Stadt-Clans können mit dem Tod enden. Andere wieder sind sehr schön. Damals war ich sehr stolz – ich erinnere mich, daß ich sehr stolz war … und dabei hatte ich große Schmerzen …“ Leere … Absichtlich verbannte sie die Vergangenheit aus ihrem Sinn; sie wollte nicht merken, daß bereits noch mehr von ihrer Kindheit weggefressen war.
„Sie wissen, warum wir hier sind“, sagte Ashka schließlich. Es war eine Feststellung, keine Frage. Elspeth nickte stumm. Als sie weiter nichts sagte, fuhr er fort: „Wie lange haben Sie keine Verbindung mehr mit der Zivilisation?“
„Seit Jahren. Die habe ich natürlich nicht alle auf dem Aeran verbracht. Aber – ich hatte eben keine Verbindung.“
„So wissen Sie also nichts von dem Großen Kampf?“
Sie sah ihn an. „Natürlich weiß ich davon. Ich habe gesehen, wie es anfing. Das hat mir Angst gemacht. Einmal, weil ich wußte, was mit dem Anzar passieren würde, wenn die Elektra die Macht übernahm, und dann, weil … nun, ich hatte das Gefühl, die Elektra würde eine noch universalere reaktionäre Politik betreiben als die Alte Föderation. Da hatte ich doch recht, nicht wahr? Diese Monitoren …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist doch richtige Angst, nicht wahr? Angst vor allen diesen winzigen, unbedeutenden Kolonien, die sie nicht sehen können; sie müssen sich gegen die Eins-zu-einer-Trillion-Chance schützen, daß aus einer Kolonie in der zehnten Generation eine Supermacht
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