Erdwind
Stein auf und schleuderte ihn weit über das Wasser. „Das haben Sie gesehen? Einen Mann teleportieren?“
„Ich habe viele Dinge gesehen und viele Dinge vergessen“, antwortete Ashka geheimnisvoll. „Alle Rationalisten sehen immer mal wieder Bizarres und Neues – es gehört zu unserem Beruf, Augenzeugen bei dem und jenem zu sein – auch beim Teleport. Es liegt weit hinten in meiner Vergangenheit. Und das ist eine Gegend“, schloß er lächelnd, „wo Tatsachen und Ereignisse die irritierende Gewohnheit haben, sich zu verlieren.“
Bei diesem Gedanken fühlte sich Elspeth unbehaglich. „Also – gehen wir weiter?“ sagte sie.
Ein paar Minuten später kamen sie an einen großen natürlichen Teich, durch den der Fluß in einer bogenförmigen Strömung hindurchfloß. Dabei entstanden auf der Oberfläche verzwickte und faszinierende Wellenmuster. Das Wasser war dunkel; es sei hier über fünfzig Fuß tief, erläuterte Elspeth. Steile Felsen erhoben sich zu beiden Seiten des Teiches, und diese Felsen waren mit Hunderten von Symbolen bedeckt, nicht von der geologischen Zeit, sondern von Menschenhand flach, aber dauerhaft eingekerbt, manche auch nur eingekratzt, manche durch Schläge mit einem spitzen Werkzeug eingemeißelt.
„Das sind sie?“ fragte Ashka, bückte sich und fuhr mit dem Finger einen der flach eingekratzten Kreise nach; dann richtete er sich wieder auf und balancierte vorsichtig auf dem abhängenden Fels. „Kreise, konzentrische Kreise, gebrochene Kreise, Kreise von Linien geschnitten …“ Er sah Elspeth fragend an.
„Wenn die Aerani auf Jagd gehen oder die Asche ihrer toten Kinder verstreuen, oder wenn sie denken, ein bestimmter Ort sei nicht geheuer, dann ritzen sie solche Symbole in die Steine … und auch andere. Die hier sind Wasser-Symbole … dieses hier bedeutet, Asche im Wasser’ … das da ist die Bitte an das Wasser, es möge die Anima eines Ertrunkenen zurückgeben … das hier bittet um die Erlaubnis, ein im Teich lebendes Tier zu fangen.“ Sie stand auf, ohne einen Blick von der Vielfalt der Symbole zu wenden. „Anderswo gibt es Luft-Symbole und Baum-Symbole und Erd-Symbole. Es gibt ein enormes Alphabet dieser Zeichen, und in den letzten hundert Stunden oder so habe ich zusammengestückelt, was sie bedeuten – das ist ungefähr die gesamte Zeit, die ich auf dieser Welt verbracht habe.“
„Die Beziehung zu Abstraktionen fällt mir schwer“, erwiderte Ashka und sah sich in dem dichten Wald um. „Das muß ich wohl von meinen Vorvätern geerbt haben. Mir ist es lieber, wenn ich das ganze Bild sehe und es dann mit den Augen des Geistes auf sein Wesentliches reduziere. Diese Symbole …“ – er starrte auf den Felsen hinab – „… es ist etwas Wesentliches an ihnen, gewiß, doch sie lösen kein sonderliches Gefühl von Bedeutsamkeit in meinem Kopf aus. Ich bin mehr für Landschaften.“
„Die schlafenden Drachen …“, warf Elspeth ein, und er lächelte.
„Sie mögen ja obskur sein“, sagte er dann und berührte wiederum einen der Kreise, „aber ich spüre da etwas unbestimmt Vertrautes.“
„Einfache Muster, einfache essentia, manifestieren sich kontinuierlich in verschiedenen Kulturen …“
„Ah ja“, stimmte Ashka zu und stand wieder auf. „Ich glaube, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Irgendwo anders haben Sie nicht nur ähnliche, sondern identische Symbole gesehen. Ist es das?“
„Genau“, sagte Elspeth rasch, hielt aber dann inne. Im Begriff zu erklären, was sie so aufregte, fiel ihr ein, wie fanatisch sie jemandem vorkommen müsse, der mit der Kunde primitiver Völker nicht vertraut oder daran nicht interessiert war.
Mit sorgsam gewählten Worten bemühte sie sich daher, Ashka ins Bild zu setzen, wobei sie versuchte, in seiner Haltung, seinen Reaktionen zu lesen, bereit, sofort aufzuhören, wenn sie auch nur im geringsten merkte, daß er die Sache lächerlich fand. Doch schon nach ein paar Minuten stellte sie im Gegenteil fest, daß er weit davon entfernt war, sie für eine Fanatikerin zu halten, sondern daß er fasziniert und intensiv zuhörte.
Es hatte angefangen, als sie mit der Randgebiets-Gesellschaft lebte, als Mitglied einer kleinen Kommune, mit der sie gute Beziehungen hatte, obwohl sie sich physisch ziemlich isoliert hielt und mit den anderen in der Hauptsache nur zusammenkam, um zu reden und Ideen auszutauschen. Die Leute hatten nicht recht gewußt, was sie mit ihrer Zeit und ihren Interessen anfangen sollten, und so waren
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