Erdwind
all den Jahren, die ihr blieben, könnte sie dazu erzogen oder programmiert werden, so grausam zu sein.
„Ich nehme nicht an“, sagte sie glatt. „Ich kämpfe nicht gegen Moir.“
„Du kannst eine Forderung nicht ablehnen!“ sagte Darren.
„So? Kann ich nicht?“
Darren starrte sie an, und mit jeder Sekunde wurde er kälter. Schließlich sagte er gelassen: „Wenn du ablehnst, töte ich dich. Das muß ich von Gesetzes wegen tun – aus einem anderen Grunde würde ich es nicht tun, Steinfrau.“
Elspeth zügelte ihren aufsteigenden Zorn. „Du setzt zuviel voraus, Darren“, erwiderte sie, und ihre Stimme klang so drohend wie seine. „Wenn ich mich entscheide, von hier wegzugehen und nach … dort oben zurückzukehren, dann hat sich’s damit. Du hast nur die Rechte an mich, über die wir uns beide einig sind.“
Er lächelte, und es war fast das gleiche triumphierende Lächeln wie vorhin. „Diese Schande nehme ich nicht auf mich, Elspeth. Wenn du gefordert wirst, nimmst du an – oder ich töte dich.“ Er faßte die Lederschnur an seinem Hals und tastete nach dem Kristallmesser, das sonst immer dort gehangen hatte. Elspeth hatte bis jetzt noch gar nicht bemerkt, daß es nicht mehr da war. Darren war darüber offensichtlich beunruhigt, wandte sich zum glimmenden Feuer hin und suchte. Elspeth nutzte die Gelegenheit, um ihre Situation zu überdenken. Es war weit bis zum Ausgang, und sie würde nie über den Wall klettern können, wenn sie sich dabei eines entschlossenen jungen Kriegers erwehren mußte. Verzweifelt begann sie: „Darren, ich habe keine Ahnung, wie man mit so einem Schwert kämpft. Sie würde mich sofort umbringen.“
Er blickte sich nach ihr um, die Finger noch an der Lederschnur. „Nicht wenn du deine Feuerwaffe nimmst.“
„Du tust ja, als ob du willst, daß Moir stirbt. Sie ist doch deine Schwester.“
Er schüttelte den Kopf. „Sie war meine Schwester. Als ich Engus tötete, schied sich unser Blut. Und es bleibt für immer geschieden, es sei denn, sie lehnt es ab, dich zu fordern.“
Der Blick, der zwischen ihnen hin und her ging, war weder feindselig noch freundlich, sondern einfach herausfordernd.
Elspeths Widerwille, als Darrens ‚feste Frau’ zu gelten, gewann wieder die Oberhand in ihren Gefühlen. Ganz offenbar fand er es von Elspeth, der älteren von beiden, höchst unpassend, daß sie ihn in Schwierigkeiten brachte, indem sie sich weigerte, gegen seine Schwester anzutreten. Der Streit wäre vielleicht wieder losgegangen – da kam Laurian von der Feuer-Halle herbeigerannt. Er sah Darren, rannte zu ihm hinüber, blieb stehen und warf einen verstohlenen Blick auf Elspeth. Er war kein so eindrucksvoller Jüngling wie Darren, und seine Angst war ihm leicht anzusehen: an den hängenden Lippen und seiner Miene überhaupt. Darren, der noch auf den Knien lag, blickte hoch. „Nun?“
Schwer atmend und bedrückt sah Laurian die beiden an. „Sie will Elspeth nicht fordern.“
Elspeth fühlte eine kurze, heiße, unbeherrschte Welle der Erleichterung (weißt du noch – die Erleichterung, als Vater die Forderung ablehnte … der Stolz bei der Jungfrauenweihe … und wie schnell er versank …). Dann riß Darrens wütendes Schreien sie aus ihren Gedanken. Langsam, schwerfällig stand er auf und starrte Laurian an. „Sie will nicht?“ schrie er. Wieder tastete seine Linke an der Lederschnur, und wieder vergaß er für den Moment seine Wut, als er das Messer nicht an seinem Ort fand.
„Es tut mir leid, Darren“, sagte Laurian, „wirklich, es tut mir leid.“
Darren fuhr herum und starrte Elspeth an. Sein Gesicht war die gleiche Maske der Wut wie vor ein paar Stunden am Flußufer: mit tiefen Falten, von einem Zornesgrinsen entstellt.
„Das ist noch nicht alles“, sagte Laurian. Eine kleine Gruppe junger Aerani hatte sich langsam um sie gesammelt und beobachtete Darren gespannt.
„Sprich weiter!“
„Der Seher hat das Orakel wegen der Jenseitler befragt. Das Orakel hat gesagt, wir sollen uns einverstanden erklären mit dem, was die Jenseitler wünschen. Die Ungenn sprechen gerade mit ihm.“
Wieder kreischte Darren durchdringend vor Wut. „Dann ist es wertlos! Dann taugt es nichts! So etwas würde kein gutes Orakel verlangen!“
„Es hat es aber verlangt“, sprach eine unbekannte Stimme. Darren fuhr herum, und Elspeth erblickte den Seher, der sie anstarrte. Neben ihm stand Ashka und lächelte dünn, als er sie gewahrte. Wie sie so nebeneinander standen, fiel
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