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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Es war seine eigene Handschrift. Carnuten? Da war doch etwas …
    Wieder runzelte er die Stirn.
    Er wußte, es war ein Scherz, und doch fiel ihm der Scherz nicht ein. Irgend etwas Historisches. Aber was war das für ein Name? Wieso wußte er, daß er dabei lächeln mußte, und doch bedeutete ihm dieser Name nichts?
    Dieses Gedächtnis!
    Die Tränen kamen ihm, als er wieder auf diese zehn Männer blickte, die ihn in ihrer vollen Jugendlichkeit ansahen. Alle Namen waren weg, außer dem des Grinsenden und seiner ‚Inneren Wahrheit’. Wie ich mich verändert habe! Verdiene ich diesen Spitznamen noch? Dem tao sei Dank – die ganze Konferenz war ihm ansonsten noch gegenwärtig … die raschelnden Vorhänge … die Gerüche … Mit krampfhaftem Griff hielt er das Foto in den Fingern; er starrte auf die Gesichter und strengte sich an, noch mehr Erinnerungen heraufzuholen.
    Der Geruch, die Vorhänge, Wasser … Wasser in einem Springbrunnen? Was noch? Was wurde gesprochen, was getan?
    Sein Gesicht war schweißnaß, es tropfte von der Kinnlade, Schweiß und Tränen, die still herausquollen, während er angestrengt versuchte, sich zu erinnern. Er wußte, daß er sich erinnern müßte – diese Konferenz lag ihm ständig im Sinn, oftmals durchlebte er wieder ganze Teile davon, ganze Gespräche. Es war doch nicht möglich, daß die Geschehnisse dieser Tage (Wochen?) so vollständig entschwunden sein konnten.
    Und doch waren sie entschwunden.
    Laute stiegen aus seiner Kehle auf, halbgeformte Wörter, halb vokalisierte Schreie. Was geschah mit ihm? Wie konnte er so völlig vergessen? Das war doch nicht etwa … Elspeth Mueller hatte doch nicht gesagt, daß der Aeran … Hatte er sie völlig mißverstanden? Hatte sie gemeint, daß der Planet tatsächlich zerstörte?
    Die Konferenz, der größte Tag seines Lebens … und jetzt war nichts da, nur noch Kiefernholz, Vorhänge, Wasser – nichts weiter; die Konferenz selbst – gewiß, eine halberinnerte Vision von Männern und Frauen, Vertrautheit mit den Gesichtern auf dem Foto, Freundschaft mit den Männern neben ihm – und dann nichts weiter. Nur Leere.
    Entsetzt, willenlos zitternd, öffnete Ashka den Schrank wieder und warf das Bild hinein. Schwer lehnte er sich ans Fenster; seine Stirn empfand das kühle Glas als angenehm, Nässe trübte die Scheibe und rann wie Regen daran hinunter zum Sims. Er weinte.
     
    Später sah er jemanden draußen vor dem Schiff stehen, in dem gelblichen Lichtschimmer, der aus dem Luk des Mannschaftslogis neben seiner Kabine kam. Er erkannte den Seher der Kolonie. Der Mann hieß Iondai; doch sonst wußte Ashka nichts weiter von ihm.
    Iondai suchte die erhellten Fenster in der steilen Bordwand ab. Wenn dabei sein Blick kurz an Ashkas Fenster hängenblieb, so ließ der Mann kein Zeichen des Wiedererkennens merken; allerdings konnte er ja auch nichts sehen. Suchte Iondai ihn? Oder studierte er nur die Fremden?
    Ashka knipste das Licht in seiner Kabine an. Jetzt konnte er draußen nichts mehr sehen, doch sekundenlang betrachtete er den trüben Widerschein seines tränenüberströmten Gesichts. Es verwirrte ihn etwas, aber er ließ seinen irrationalen Emotionen freien Lauf, bis sie von selbst verblaßten. Als er das Licht wieder ausknipste, sah er, daß Iondai zu ihm heraufstarrte und ihm winkte.
    Ashka nahm seine Leinentasche auf und fragte sich, was der Seher wohl im Sinn haben mochte, daß er herkam und so offensichtlich nach seinem Kollegen und Gegenspieler Ausschau hielt. Eilends begab sich Ashka wieder hinaus auf den Boden des Planeten. Doch als er unten an der kurzen Rampe stand, sah er sich erstaunt um: Iondai war nirgends zu entdecken. Hell angeleuchtet von dem hinter ihm aus der Luftschleuse fallenden Licht, vor der schwarzen Finsternis stehend, fühlte sich Ashka höchst verwundbar. Doch da sah er eine Gestalt an der Erdbastei, ein Stück links vom Eingang. Sie war schwierig auszumachen, doch Ashka glaubte, daß es Iondai war, und in diesem Gedanken schritt er durch das schwammige Unterholz vom Schiff weg.
    Als er den Wall erreichte, war Iondai wieder verschwunden; Ashka ging längs des Walles weiter, nicht ohne ein gewisses Unsicherheitsgefühl, da er das Schiff nicht mehr sehen konnte.
    In der völligen Finsternis fühlte er sich vor Humanoiden, die ihn und seine Genossen bedrohen mochten, völlig sicher; ganz und gar den Naturformen und -mächten einer Welt ausgesetzt zu sein, die er nicht beherrschen konnte, war jedoch nicht eben seine

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