Erdwind
suchte sie so fanatisch nach seinem letzten Sinn? Es war, als sei etwas in ihr, was eigentlich nicht da sein sollte, das in sie hineingekrochen war – vielleicht in jener ersten Nacht, als sie mit dem Bewußtsein ihres jetzigen Abbaus im Wald eingeschlafen war; etwas Geheimnisvolles, das von ihr Besitz ergriffen hatte und sie antrieb: Suche, gib nicht auf, bis du es weißt, finde die Lösung, erhelle es, finde es … um des tao willen, laß nicht los … du mußt den Sinn herausfinden … um meinetwillen, um meinetwillen …
Sie lächelte. Ein Fremder in ihrem Kopf? Eine Psycho-Bestie oder ein winziger Parasit, schmerzlos, verborgen in einer winzigen Nische ihres Hirns? Dergleichen gab es natürlich nicht. Das wußte sie. Intelligentes Leben gab es nur bei den großen, fleischigen Tieren von der jetzt sehr verbreiteten humanoiden Varietät und bei diesen rückständigen Geschöpfen am anderen Spiralarm der Galaxis, Höhlenbewohner in der Morgendämmerung ihrer Zivilisation. Sie wußte nicht mehr, wie sie hießen. Das war ein weiteres Faktum, das ihr entfallen war, wie so viele andere. Sie wagte jetzt kaum noch, in die Vergangenheit zurückzudenken. Die Angst vor dem, was sie nicht mehr finden würde, war viel intensiver als die Erinnerung an irgendwelche schreckliche Begebenheiten.
Als sie wieder am Felsen waren und in die Schlucht hinunterblickten, sahen sie Darren dort unten, wie er, von Felsblock zu Felsblock in Deckung gehend, einen arglosen Schwarzflügler beschlich, einen Tangelkrautstrang um jeden Arm. Der Nebel rollte bereits vom fernen Ende der Enge zwischen den hohen Klippen heran, und bald würde alles undurchsichtig weiß sein. Zweimal hatte er seine Beute durch ein Geräusch oder eine unvorsichtige Bewegung verscheucht – jetzt, beim dritten Versuch, mußte es unbedingt glücken.
Elspeth wandte sich um, denn Moir hatte sie am Arm gefaßt. Das Mädchen deutete nach hinten. Elspeth sah hin: Vom fernen Wald näherte sich ihnen ein Schwebefloß. Ein einzelner Mann, der sich auf dem unsicheren Gefährt nicht recht wohlzufühlen schien, saß darauf. Sie erkannte Ashka. Ihr Herz setzte vor Spannung aus. Sie wußte, warum er hier war.
Moir glitt leise hinweg; vielleicht hatte sie Angst vor dem Floß, weil es vom Himmel kam; vielleicht spürte sie auch, daß Elspeth lieber allein sein wollte. Das Floß sank in einiger Entfernung zu Boden, und Ashka, jetzt etwas vernünftiger bekleidet (schwarzer Uniformrock und weite bauschige Hose), seine kostbaren Orakel am breiten, farbenfreudigen Gürtel baumelnd, ging auf Elspeth zu. Sein Gesicht war unbewegt, doch seine Augen waren – böse, sehr böse.
„Wenn Sie mich anbrüllen wollen – bitte nicht; ich habe genug Anbrüllerei für einen Tag hinter mir.“
„Davon habe ich gehört“, erwiderte er kalt. „Ich erhebe meine Stimme nie, Elspeth. Schadet den Stimmbändern. Ruhige Entschlossenheit ist lautem Gezänk überlegen.“
„Sie reden wie das ching. Ihr beide seid euch näher als ich dachte.“
Diese Worte besänftigten ihn durchaus nicht. Moir beobachtete ihn aus respektvoller Entfernung. Die ersten Nebelschwaden hingen in der Luft. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Sicht ernsthaft beeinträchtigt war, doch die Ausdünstungen des Moores griffen bereits mit unangenehmen Fingerspitzen nach dem Pfad. Elspeth atmete schwerer; die klamme, feuchte Luft, der faule Geruch, der mit dem Nebel herankam, wurden ihr lästig.
„Gorstein wollte mir nur sehr wenig sagen, außer, daß er die Implantation der Monitoren verboten hat. Sie müssen einen außerordentlichen Eindruck auf ihn gemacht haben.“
„Wir hatten eine ganz schöne Auseinandersetzung. Aber sehr beeinflußt habe ich ihn wohl nicht. Mit Ihrem Schiffs-Meister kommt man leicht ins Streiten. Vielen Dank für die Warnung.“
„Habe ich Ihnen nicht gesagt, wie er ist? Ich dachte, ich hätte Ihnen genügend Hinweise gegeben …“
„Hmm …“ – Sie schüttelte den Kopf in gespieltem Ärger. „Sie haben mich glauben lassen, er sei ein lieber, humorvoller Mensch.“
„Gorstein?“ Er mußte lachen, runzelte dann die Stirn, sah das Funkeln in Elspeths Augen und schüttelte den Kopf. „Sehr schlau.“
„Seien Sie nicht so böse mit mir, Peter. Darf ich Peter zu Ihnen sagen? Ich habe ihm wirklich nicht viel erzählt.“
„Es reicht“, erwiderte Ashka scharf. „Genug, daß er eine Dummheit machte, genug, daß er eine Entscheidung traf, die sehr unheilvolle Folgen für die Kolonie haben
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