Erdwind
wieder.“
„Nehmen Sie mich doch mit“, schrie sie. „Wenn es keine Teleportation ist, was ist es dann? Ach, Peter, Sie schrecklicher Mensch, nehmen Sie mich doch mit!“
Das Floß trieb weg und wurde schneller.
„Was ist es?“ brüllte sie hinterher.
„Zeit …“, schrie er zurück, doch seine Stimme war gegen den Fahrtwind und das Motorengeräusch kaum zu hören.
Zeit, dachte sie verwirrt. Zeitreise? Meint er das? Reisen die Schwarzflügler durch die Zeit?
Und dann …?
10
Etwas später kam ihm sein dramatischer Aufbruch selbst ein bißchen komisch vor. Er mußte sehr merkwürdig ausgesehen haben, fast wie ein Verrückter, als er unter aufgeregtem Geschrei entflog.
Er hatte nur ein Weilchen allein sein wollen, unbelästigt von Leuten, die ihm auf den Leib rückten und ablenkende Fragen stellten. Er hatte weder dramatisch noch unhöflich sein wollen.
Der Nebel hüllte ihn jetzt ein, erstickend, klebrig beladen mit dem Gestank der Marschenflora und -fauna. Mit einem einfachen Nasenfilter atmete es sich leichter; und er saß auf dem Floß, starrte in die weiße Wand, die ihn von allem abschloß. Dabei ließ er seine Gedanken sich ungestört auf das konzentrieren, was er gesehen hatte und woran er sich erinnerte.
Gleich beim erstenmal, als er einen Schwarzflügler fliegen sehen hatte, war ihm der Anblick vertraut vorgekommen. Es war natürlich nicht die normale Fortbewegungsart des Tieres, sondern das merkwürdige Schwirrflattern, mit dem es sich einer Gefahr entzog. Elspeth hatte es Teleportation genannt. Ashka hatte Teleportationen gesehen, aber dabei kam es nicht zu dieser sekundenbruchteillangen Unsichtbarkeit des Körpers – es war etwas Momentanes, eine Funktion des Raumes, nicht der Zeit. Hier jedoch erinnerte ihn die Bewegung an etwas anderes, an ein Experiment, dem er beigewohnt hatte –, und zwar konnte es nicht allzu lange her sein. Die Erinnerung lag in seinem Schädel verschlossen, dem normalen Prozeß der Gedächtnisverlagerung entrückt; aber sie konnte noch hervorgebracht, ans Licht geholt und nachvollzogen werden. Der Planet hatte sie ihm noch nicht für immer genommen.
Das Experiment hatte auf der Erde stattgefunden, vor etwa fünfzehn Jahren. Er hatte es bei einer Routineveranstaltung aus einiger Entfernung beobachtet; Rationalisten mußten ihr Leben lang an allen möglichen Experimenten und Tagungen teilnehmen. Er hatte zahllose solche Veranstaltungen mitgemacht, hatte zugehört, das Protokoll unterzeichnet, dann hatte er alles vergessen und ganz normal sein Leben weitergelebt.
Dieses spezielle Experiment hatten über zwanzigtausend Rationalisten mit angesehen, weil es ein Fundamentalversuch eines Zeitforschungsinstituts war. Er und andere hatten einen Mann durch eine große Arena laufen sehen; der Mann trug einen schweren Kasten auf dem Rücken, eine Brustplatte mit komplizierter Apparatur, eine kleine stählerne Schädelkappe mit in die Hirnrinde führenden Sonden. Beim Laufen verschwand der Mann und erschien eine Viertelsekunde später ein Stück weiter auf seiner Bahn; auf diese flackernde Art war er durch die Arena gelangt, hatte dann gewendet und war zurückgekommen und schließlich erschöpft zusammengesunken. Ashka hatte sein Protokoll unterzeichnet und die Veranstaltung verlassen. Es war nicht sehr sensationell gewesen, es hatte ihn nicht sonderlich erregt oder in Erstaunen versetzt. Doch bei einer ganzen Anzahl von Zuschauern war das anders. Es lag etwas wie Elektrizität in der Luft: Lachen, Diskussionen, Meinungsaustausch, Entzücken.
Sie hatten einen Mann durch die Zeit laufen sehen, in winzigen Explosionen, die Sekundenbruchteile dauerten, ihn sich mittels Geist und Maschine einem Universum annähern sehen, wo das ewig gleiche Vorwärtsströmen der Zeit nicht so unverbrüchlich war wie in dem ihren. Ashka hatte sich damals nicht weiter dabei aufgehalten, die Konsequenzen durchzudenken; und später, als er hörte, daß die Versuchsperson ihre Beziehungen zum ching neu herstellen mußte (schon damals das gleiche Problem, das Elspeth jetzt hatte), war er auch noch nicht auf die Implikationen dieses Experiments gekommen.
In der Nebelmauer, einsam und frierend, aber langsam zum Verständnis jener Welt gelangend, auf der er nach und nach seine Identität verlor, wünschte Peter Ashka, er sei damals vor fünfzehn Jahren nicht so voreilig und dumm gewesen. Er wünschte, er sei nicht nur so ein ganz gewöhnlicher Dutzend-Rationalist; er wünschte, er besäße auch
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