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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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handeln – einer relativen Zeitspanne, die zu kurz war, um im Materiellen wahrgenommen zu werden, in der Materie des Gehirns – sie sprang unkontrolliert in den Rhythmus der Bewegung ein; ein Zeit-Quant, zu kurz, um anders wahrgenommen zu werden als in jenem Schwirrflattern, mit dem ein Tier aktiv darum kämpfte, diese Welle abzureiten, durch eine einmalige Kombination von Zeit und Geist zu entfliehen, was wie ein Schwirren aussah, weil der Beobachter und sein Objekt sich während dieser kurzen Sekunden des Fluges in verschiedenen Zeitstrukturen bewegten.
    Der Schiffscomputer hatte es gewußt. Das ching hatte es gewußt, doch ohne präzise Frage konnten sie es ihm nicht sagen. Selbst Gorstein, dieser seltsame Mann, hatte bei der Landung gemerkt, daß etwas nicht stimmte; vielleicht war seine Psyche gerade wegen seiner geringeren Sensitivität empfänglicher für die andersartige Zeit als eine sensitivere und daher von Nebengeräuschen überlagerte Psyche. Er hatte sich unbehaglich gefühlt, eben als ob etwas nicht stimmte. Das ching hatte ‚von außen’ gesagt, und er, Ashka, hatte das im Sinne von etwas Feindlichem interpretiert, das von der Kolonie herkommen würde. Und es hatte auch Feindseligkeiten gegeben, und er hatte seine Interpretation für richtig gehalten. Aber sie war nicht richtig. Gorstein hatte gespürt, daß etwas mit der Zeit nicht stimmte; das ching hatte es gewußt, hatte es zu erklären versucht. Selbst der Computer hatte es zu erklären versucht, doch woher sollte der Computer wissen, daß das, was er als fremdartiges Phänomen entdeckt hatte, mit dem identisch war, was Gorstein ebenfalls entdeckt hatte? Maschinen – sich auf Maschinen zu verlassen, hieß, sich auf Narren zu verlassen.
    Es lag so viel Ironie in der Situation, daß Ashka endlich dem Lächeln nachgab. Sogar Iondai hatte ja gewußt, daß nicht das ching sich irrte, sondern Ashkas Denken, was natürlich logisch war. Konnte Ashkas Leib sich leicht in den unregelmäßigen Zeitablauf einfügen – sein Denken konnte es nicht. Der Geist war etwas Eigenes, Abgetrenntes; er existierte in seinem eigenen Universum, und das glatte Ineinanderfließen von Körper und Geist war eben das, worum es beim tao ging, wenn man es vom menschlichen Standpunkt aus sah. Doch zweifellos konnte sich auch das Denken anpassen – selbst der Geist konnte seine Verlagerung spüren und sich angleichen; und im Verlauf dieser Angleichung glitt er langsam, unerbittlich in das andere Zeit-Raum-System, und dieses begann mit dem Leib, der es beherbergte, zu oszillieren, und so entglitt es dem ching, so riß die Beziehung ab, so wurde das ching sinnlos, weil es nicht mehr richtig arbeiten konnte. Er hatte gedacht, es sei krank, als er es für Iondai befragen wollte – war das Eifersucht, war es wegen der Nähe des großen Orakels irritiert gewesen? Oder war da nur der negative Beitrag eines Geistes, der zwar immer noch nah, aber jetzt so weit verlagert war, daß er sich an der rauhen Kante des Nichtfunktionierens rieb?
    Und das Gedächtnis … das Gedächtnis: nicht mehr (und nicht weniger) als eine Vibration im Kern der Nervenzelle, eine ständige bioelektrische Wellenbewegung, durch eine spezielle kristallinische Eiweißverbindung unter der Kernmembrane determiniert … eine Wellenform, die bis in die äußere Zellmembran hineinreichte, wenn ein bestimmtes Gedächtnisfragment gefordert und abgerufen wurde … ein zartes Gewebe, die Vergangenheit des Menschen, seine Identität, sein Schicksal – eingefangen in Milliarden winziger Schwingungen – so leicht zu zerstören. Und der Aeran zerstörte sie! Diese komplexen Strukturen waren Funktionen sowohl der Zeit als auch des Raumes! Kein Wunder, daß sie unter den andersartigen Parametern der Aeran-Relativität degenerierten. Langsame Zerstörung, Teilchen um Teilchen, Fall um Fall … wenn der Geist den Übergang vollzog, die Grenze überschritt, wurde die angesammelte Erfahrung des Lebens von der Oberfläche, von der Matrize wegradiert, so daß diese leer und frei war für die neuen Chiffren von Leben und Tod. Doch natürlich verschwand nicht alles. Die Sprache schien zu bleiben, die Wörter, die Begriffe, verzerrt zwar durch den Übergang von einem Universum ins andere, doch grundsätzlich die gleichen. Wörter … Rede … in die eine Hirnhälfte eingegraben, dort wo das Gehirn über den Augen hervortritt – und die andere Hemisphäre? … Symbole, ja … wenn er sich recht erinnerte, war die andere

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