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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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eine echte Beziehung zum Buch der Wandlungen gehabt und daher immer einen Rationalisten gebraucht hatte. Er war ein Schwächling der schlimmsten Sorte: Er gründete auf der Stärke der Grundsätze eines anderen.
    Er mußte gestoppt werden; er mußte seine Entscheidung zurücknehmen!
     
    Gorstein hätte sagen können: Gut, hier bin ich, ich nehme sie zurück. Doch das tat er nicht. Er konnte nicht wissen, was Ashka vorhatte; doch eben als Ashka zu einem endgültigen Entschluß gelangt war, glitt die Tür lautlos auf, und Gorstein stand da. Sein Gesicht war bleich und verzerrt – vor Anspannung, vielleicht auch vor Wut.
    „Karl …“ Unsicher stand Ashka auf und sah den Schiffs-Meister an. „Karl, warum hast du mich vorhin nicht vorgelassen?“
    Gorstein starrte ihn kurz an, sah dann zu Boden und schloß die Tür wieder. Er trat in den Raum hinein, sah aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus (oder auf sein eigenes Spiegelbild?).
    „Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten, Peter. Entschuldige, wenn ich vorhin unhöflich war.“
    „Ich frage mich nur, warum du nicht mit mir reden wolltest.“
    „Weil ich wußte, was du wolltest“, erwiderte Gorstein, und dabei war deutlich herauszuhören, daß er gereizt war. Er fuhr herum und sah den Rationalisten an, lächelte dann, lockerte den Gürtel seiner bauschigen roten Robe. „Es gab – und gibt – nichts, was ich zu deiner Beschwichtigung sagen könnte, Peter. Es ist zu spät zum Umkehren, und deine sehr echte Besorgnis wäre mir nur lästig gewesen.“
    Lästig! Ashka konnte diese so gelassen ausgesprochene Beleidigung kaum fassen. „Lästig“, wiederholte er und setzte sich langsam wieder hin. „Zehn Jahre“, murmelte er trübe.
    „Wieso? Zehn Jahre?“
    „Die du und ich …“
    „Ach so.“ Gorstein verstand jetzt, was Ashka meinte. Er setzte sich auf die Matte und nickte väterlich-überlegen. „Ja. Zehn Jahre – eine lange Zeit, und ich meine es aufrichtig, wenn ich sage, daß ich diese zehn Jahre … nun ja, trotz allem, wozu du mich veranlaßt hast, diese zehn Jahre zu schätzen gewußt habe – und dich auch, Peter. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie dafür danken. Ein Geschenk wäre beleidigend, aber etwas anderes kann ich dir anbieten.“
    „Ich brauche nichts. Auch keinen Dank für die zehn Jahre.“
    Die Augen brannten ihm, und er blinzelte so diskret wie möglich. Er spürte, daß ihm die Vernunft rasch abhanden kam, irrationale Emotionen stiegen hoch, unerwünschte, schmerzliche Sehnsüchte faßten nach seinem Hirn.
    Gorstein lachte, als wolle er sich entschuldigen. „Du hast mich mißverstanden. Was ich dir anbieten kann, ist etwas, das mir sehr teuer ist – und dir auch, wie ich hoffe.“
    „Was ist das?“
    „Weitere Freundschaft“, entgegnete Gorstein, und es klang irgendwie selbstzufrieden.
    Ashka schwieg darauf. Der Schock war fast untragbar. Daß Gorstein so etwas auch nur anbieten mußte, daß er sich dessen bewußt war, machte es nur um so mehr zur Lüge! Freundschaft? Freundschaft gab es nicht. Solche Gefühle hatte Gorstein nie für Ashka gehegt. Wie dumm er gewesen war zu glauben, daß eine solche Beziehung jemals bestanden hatte!
    „Danke“, sagte er trübe. Hilflos weinte er ein paar Sekunden lang, den Kopf auf der Brust, die Hände ordentlich auf den gekreuzten Beinen gefaltet. Die heißen Tränen befeuchteten den Stoff zwischen seinen Fingern. Gorstein blieb stumm, und als Ashka nach ein, zwei Minuten aufsah, verflüchtigte sich eben der Schatten eines Lächelns vom Gesicht des Schiffsmeisters.
    Er denkt, ich weine vor Freude …
    Laut sagte Ashka: „Du sagtest – trotz allem, wozu ich dich veranlaßt habe – was meintest du damit? Das ching?“
    „Natürlich. Wie ein Priester in alten Zeiten hast du mich mit einer Schamanismen-Diät gefuttert, hast mich geleitet und kontrolliert – o ja, du hast mich geleitet und kontrolliert, Peter –, von einer Prophezeiung zur anderen hast du mir niemals gestattet, selbst zu wählen – immer war mir die Wahl vorgegeben, und allenfalls konnte ich entscheiden, ob die eine oder die andere Alternative die weisere war – und oft genug gab es gar keine Alternative – tu das und das, oder es geht schief.“
    „Aber ist es denn nicht gut, wenn man Alternativen bekommt?“
    „Nein, Peter! Das ist gar nicht gut.“
    „Wenn du dir alles selbst richtig überlegt hättest, Karl, dann wärest du jedesmal zu der gleichen Entscheidung gelangt. Was kann denn überhaupt beim

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