Erdwind
ein länglicher, viereckiger Kristallblock, fast so hoch wie sie selbst; bläuliche, sich kreuzende Strahlen teilten das Innere in zwanzig gleich große Fächer. Zweifellos – das mußten sie sein.
Sie hob das Gewehr und zielte mitten in den Kristall. Einen Moment zögerte sie … ein flüchtiger Gedanke zuckte auf … das sind die Hirne menschlicher Astralleiber … menschliche Bewußtseinsstrukturen. Dann wurde ihr klar, daß sie kein Bewußtsein hatten, obwohl sie das Echo des menschlichen Geistes beherbergten. Doch die Menschen, die diese un-berührbaren Energie-Pulsationen gespendet hatten, waren noch am Leben und gesund, denn bei diesem Prozeß handelte es sich nicht um ein Opfer. Es war, als ob man Blut oder Liebe gab – der Spender büßte de facto nichts dabei ein.
Sorgfältig zielte sie (– ein V-Geschoß wäre noch wirkungsvoller, aber dazu war es jetzt zu spät –) und öffnete die Tür hinter sich, so daß sie vor der Explosion flüchten konnte. Sie drückte ab.
Eine Zeitlang hielt sie sich noch im Walde versteckt, noch halb erstickt von dem Rauch, der in ihre Bronchien eingedrungen war. Wie sie es geschafft hatte, körperlich und geistig Ruhe zu bewahren und keinen Verdacht zu erregen, bis sie von Bord war, wußte sie selbst nicht. Jetzt lag sie auf dem kalten Erdboden einer winzigen Lichtung und ließ die ganze Spannung aus sich heraus, die sie zwanzig Minuten lang so tapfer ausgehalten hatte.
An Bord war alles ruhig. Nach einer Stunde, ausgeruht und – zum mindesten – sehr zufrieden mit sich selbst (obwohl sie genau wußte, daß ihr Leben nicht mehr lebenswert sein würde, wenn sie Gorstein in die Hände fiel), schlich sie durch die Dunkelheit in den crog zurück. Moir rief sie wieder an, als sie vorbeikam – ein flüchtiger Schatten in der Nacht –, doch wiederum reagierte Elspeth nicht.
Wenn Gorsteins Wut auf den Höhepunkt kam – und das würde sie –, dann entschloß er sich vielleicht zu irgendwelchen aggressiven Aktionen gegen die Aerani; und Elspeth hielt es für fair, sie zu warnen. Gewiß war es ein großes Risiko, ihnen zu sagen, daß sie die Monitoren getötet hatte; doch die Aerani besaßen ein wunderbares Talent zum Fatalismus und würden sich wohl mit dem Geschehenen abfinden – vielleicht würden sie sogar einsehen, daß es so am besten war. So oder so – sie wußten es möglicherweise schon, denn ihr Orakel wußte es bestimmt.
Am inneren Eingang des crog lief sie Iondai in die Arme. Er versperrte ihr den Weg, ein schmächtiger, aber aggressiver Mann. Er starrte sie an, und etwas in seinen Augen, etwas in seiner Miene bestätigte ihre Befürchtungen.
Er wußte, was geschehen war!
Trotzdem sagte sie: „Die Knochen-Geister sind tot.“
Iondai antwortete nicht, sondern starrte sie nur an. Dann trat er zur Seite, und ihr wurde klar, was nun geschehen würde.
12
Peter Ashka hatte weder vor dem Leben noch vor der Unvermeidlichkeit des Todes Angst. Das ching eliminierte das Element der Unsicherheit fast vollständig aus seinem Leben, und so stand nur der Tod zwischen ihm und dem friedvollen Sein, das er sich so wünschte. Deswegen hatte er in seinen mittleren Jahren alles aufs Spiel gesetzt und jene lange Woche in Konsultationen mit dem Buch der Wandlungen verbracht, hatte herumgebohrt und auf eine Antwort hingearbeitet, die tief in der Zukunft verborgen lag, in jenem unwahrscheinlichen Universum, wo es immer noch mehr Dunkel als Licht gab. Doch das ching kam tief genug hinunter, und er war dem ching gefolgt, und am Ende der Woche hatte er eine Reihe von Gleichungen in Händen, aus denen er das genaue Datum seines Todes errechnen konnte.
Wenn Ashka einen wesentlichen Charakterfehler hatte, dann den, daß er von Jugend an zur Desorganisation neigte. Planen und Vorbereiten waren ihm so unangenehm, daß er oftmals ins Chaotische geriet, und nur aus diesem Grunde könnte, wie er selbst spürte, sein Leben enden, ehe er es voll ausgeschöpft hatte. Man brauchte so ungeheuer viel Wissen und Erfahrung; nur wenn er seine Zeitgrenze kannte, war er imstande, sein Leben auf das richtige Ziel hin zu organisieren.
Diese Zeit war beinahe um, und wenn er auch bedauerte, daß die sieben Monate nicht sieben Jahre waren, fühlte er sich doch nicht unglücklich, und Angst hatte er ganz bestimmt nicht – so war es, und so war es immer gewesen. Ein friedliches Leben und ein friedlicher Tod waren ihm versprochen, und Friede war sein größter Wunsch. Gorstein war sein Herr und
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