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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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sie eine Niederlage erleiden könnten oder daß es einen Menschen gibt, der ihnen überlegen ist. Meistens bleiben diese primitiven Züge in der Tiefe. Bei dir sind sie an die Oberfläche gekommen. Dir kann nichts schiefgehen, nicht wahr, weil du mittels irgendwelcher undefinierbarer Kräfte alle Schwierigkeiten überwindest …“
    „Jawohl – eine undefinierbare Kraft, die in uns allen steckt, kann hervortreten und uns befähigen, Fehler zu vermeiden …“
    „Oder welche zu machen“, fiel Ashka scharf und böse ein. „Nur Kraft – das gibt es gar nicht. Kraft wird immer durch Schwäche beeinträchtigt. Deswegen ist das ching ja gerade so ungeheuer wertvoll. Es zieht alle Überlegungen in Betracht, Karl. Du Narr lehnst das ching ja gerade aus den falschen Gründen ab!“
    Seine Stimme hallte durch den kleinen Raum. Die Blicke, die sie wechselten, waren zutiefst feindlich, doch bald lockerte ein beiderseitiges Einlenken die Spannung.
    Gorstein lachte bitter auf. „Wenn die Menschheit jemals bestraft wurde, so war es dann, als ihr Schicksal in die Hände unsichtbarer Götter gelegt wurde.“
    Ashka lächelte; sein Nicken war mehr ein Reflex als eine bewußte Bewegung. „Karl …“ Und für einen Augenblick war ihm, als schliche sich die alte Wärme wieder ein.
    „Ach Peter, Peter …“ Gorstein war anscheinend ebenso durcheinander wie Ashka.
    „Karl, mein Freund, mein lieber Freund. Warum kämpfen wir? Was ist los mit uns?“
    „Ich weiß nicht, Peter. Irgendwas …“
    Der Aeran, dachte Ashka bitter. Diese verdammte Welt, sie trennt den Freund vom Freund, den Menschen von seiner Vergangenheit, an ihr würden sie alle zugrunde gehen, wenn sie nicht machten, daß sie wegkämen, und zwar bald.
    „Peter – ich bin aus einem ganz besonderen Grunde hier.“
    Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, kalte Worte, gesprochen mit aller falschen Wärme, wie sie Ashka seit einiger Zeit vom Schiffs-Meister nicht anders erwartete. Aus einem besonderen Grund. Nicht bloß, um dich zu besuchen oder mit dir zu reden, dir etwas zu erklären oder dich um Verständnis zu bitten – nein, aus einem ganz besonderen Grund. Dieser Mann machte einen Spott aus allem, was Ashka teuer war. Er hatte kein Mitgefühl, nicht einmal die Idee von Mitgefühl!
    Gorstein hätte das ungemütliche Schweigen brechen können, doch ein nur allzu vertrauter Ton durchdrang das dünne Glas des Sichtfensters und drang an ihre Ohren.
    „Da hat jemand geschrien“, sagte Gorstein mit einem Blick zum Fenster.
    „Das hörte sich sehr nach … Elspeth Mueller an.“
    Beide standen auf, dämpften die Beleuchtung ab, und unvermittelt wurde sie im Scheinwerferlicht sichtbar. Sie lag auf dem weichen Boden, das kurze schwarze Haar blutverklebt, die Arme ausgestreckt, die Finger schmerzvoll ins Gras gekrallt. Da sie mit dem Gesicht nach unten lag, war schwer zu sagen, ob sie noch lebte. Ein Stein lag neben ihrem Kopf, zugehauen und geschärft, ganz offensichtlich ein Wurfmesser, das von ihrem Schädel abgeprallt war, statt ihn zu durchbohren. Ashka glaubte, an ihrem Rücken zu sehen, daß sie atmete.
    „Laß sie hereinholen“, sagte er; und als Gorstein keine Bewegung machte: „Karl …?“
    „Warum willst du ihr helfen? Wenn die Mueller tot ist, haben wir ein Hindernis weniger auf unserem Weg – oder nicht?“
    „Das ist mir nie in den Sinn gekommen“, flüsterte Ashka und sah zu dem lächelnden Gesicht des Schiffs-Meisters auf. „Willst du sie da draußen sterben lassen?“
    „Sie ist schon tot.“
    „Sie atmet.“
    „Dann wird sie gut daran tun, damit aufzuhören“, versetzte Gorstein drohend und starrte immer noch auf den ausgestreckten Körper. Er schien zu überlegen, was zu tun war, zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen, doch sich nicht entscheiden zu können. Er sah Ashka an und blickte dann wieder weg, zurück auf die reglose Elspeth. „Was ist da zu machen?“ fragte er lächelnd. „Soll ich das ching konsultieren?“ Sarkasmus – aber nur eine Maske für die Verwirrung, derer er sich wohl bewußt war. „Jawohl, Peter. Ich würde die liebend gern ins Schiff zerren und ihr den Hals abschneiden. Aber lieber nicht. Noch nicht. Vielleicht niemals.“ Er warf Ashka einen raschen Blick zu.
    Was will er bloß, fragte sich der Rationalist, und intuitiv traten Zukunftssituationen vor sein Auge, die ihn tief beunruhigten. „Du willst sie also draußen sterben lassen“, sagte er laut, ohne den Zorn in seiner Stimme zu verhehlen.

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