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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Vater und Großvater die Seher gewohnt. Viele G e nerationen.“
    „Haben sie alle das Lied der Erde befragt? Das Orakel?“
    „Mein Vater war Seher, doch er gewann das Recht dazu in einem Wettbewerb. Ich habe es von ihm geerbt; aber ich habe keine Kinder, und wenn ich sterbe, wird es einen ha r ten Wet t kampf um die Ehre geben.“
    „Ich bin sehr gespannt auf dein Orakel mit dem seltsamen N a men.“
    „Es hat bereits Feindseligkeiten vorausgesagt.“
    Ashka verstand nicht gleich, was er meinte. „Feindseli g keiten? Das heißt … was? Zwischen unseren beiden Vö l kern?“
    „Feindseligkeiten innerhalb meines eigenen Volkes, w e gen der Mission von euch Jenseitlern.“
    Nachdenklich schwieg Ashka. Er dachte an seine ching- Lesung für Gorstein und die dunkle Andeutung von Fein d seligkeit; er dachte daran, wie schwierig die ersten Verhan d lu n gen zwischen den beiden Völkern gewesen waren. Ein Kampf schien fast u n vermeidbar. „Wir müssen versuchen, das zu ve r hindern“, sagte er.
    „Das ist nicht möglich“, erwiderte Iondai traurig.
    „Nichts ist unvermeidbar“, beharrte Ashka, „wenn man weiß, wo man hineinrennt.“
    Iondai verstand das anscheinend nicht. „Die Voraussage ist u n abänderlich“, entgegnete er, „wir können nichts tun.“
    Ashka konnte seine Überraschung nicht verbergen. Wenn Iondais Orakel tatsächlich funktionierte (und Ashka war nicht gesonnen, das unbesehen, nur auf Elspeths Behau p tung hin zu glauben), dann war schwer zu begreifen, daß diese Menschen noch nicht erkannt hatten, daß Propheze i ungen abwandelbar waren. Wenn sie sich aus Tradition an den Wortlaut jeder Prophezeiung kla m merten, so würde das natürlich Iondais Haltung erklären. Doch Ashka spürte, daß sein Kollege und Gegenspieler ein Mann von tiefen Geda n ken war (so recht ein Mann mit dem Temperament eines Rationalisten); und es brauchte nur eine kleine Meinung s verschiedenheit oder Mißhelligkeiten als Folge einer Pr o pheze i ung zu geben, dann nahm der Strom der Zeit einen anderen Verlauf – das war gar nicht so selten. Aber schlie ß lich hatten so viele menschliche Kulturen, die prophetische Systeme entwickelt hatten, nicht erkannt, was die alten Asi a ten erkannt hatten: nämlich, daß Zeit und Leben nicht präd e stiniert waren, selbst dann nicht, wenn sie (vorausgesetzt, man überließ sie sich selbst) in eine ganz bestimmte Ric h tung gingen: in die Richtung des geringsten Widerstandes.
    Ashka fragte sich immer noch, ob er das Recht hatte, den Seher auf subtile Art über den Weltenlauf zu belehren, di s kret so viel Samen zu säen, daß rechtes Verstehen schnell aufblühen würde; doch da brach Iondai das sich in die Länge ziehende Schweigen: „Was für ein Orakel benutzt du?“
    Ashka fuhr aus seinem Sinnen hoch. Erst dachte er, Io n dai mache einen Scherz – was für ein Orakel? Hatte der Mann denn übe r haupt keine Ahnung …? Und dann fiel ihm wieder ein, wo er war.
    Es war, als ob er, Ashka, der Realität für einen Auge n blick en t schlüpft sei – wie stark war dieses Gefühl! –, ein lebendiger Traum, ein Moment der Entrückung, der Stunden zu dauern schien. Die reale Welt flutete zurück (welch pa s sende Met a pher!). In der fackelerleuchteten Höhle, wo die Symbole und die zerklüfteten Felsvorsprünge sich in dieser bizarren Lebensäh n lichkeit bewegten, die flackerndes Licht hervorbringen kann, zog Ashka seine Leinentasche zu sich heran und auf se i nen Schoß. „Wir nennen es das Buch der Wandlungen“, sagte er und holte das in Seide gewickelte ching unter den zahlre i chen Dingen in seiner Tasche hervor. „Ein sehr altes Orakel, das aus mehreren philosophischen Werken entstanden ist, d e ren jedes im Laufe der Zeit noch erweitert wurde. Ideen, verstehst du – die Ideen vieler Me n schen, die sich unversehens, vor Hunderten von Generati o nen zum Schlüssel des lebend i gen Orakels kristallisierten, das dieses Buch darstellt.“
    „Dieses Ding da?“ fragte Iondai, streckte die Hand aus und b e rührte die Seide. Ashka wickelte das ching aus, so daß Io n dai sehen konnte, was es war. „Wir nennen das ein Buch“, e r läuterte er; „Ideen, Rat, Weisheit – alles das ist auf seinen Seiten aufg e schrieben.“
    Iondai war geradezu entzückt. Er sah zu, wie Ashka die drei Münzen herausnahm, Seite auf Seite umschlug, auf Wö r ter und Symbole deutete. Er war aufgeregt wie ein Kind.
    „Und das ist das Orakel – du trägst es mit dir herum! Du mußt –

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