Erdwind
„Lästig“, wiederholte er und set z te sich lan g sam wieder hin. „Zehn Jahre“, murmelte er trübe.
„Wieso? Zehn Jahre?“
„Die du und ich …“
„Ach so.“ Gorstein verstand jetzt, was Ashka meinte. Er set z te sich auf die Matte und nickte väterlich-überlegen. „Ja. Zehn Ja h re – eine lange Zeit, und ich meine es aufrichtig, wenn ich sage, daß ich diese zehn Jahre … nun ja, trotz a l lem, wozu du mich veranlaßt hast, diese zehn Jahre zu schätzen gewußt habe – und dich auch, Peter. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie dafür danken. Ein Geschenk wäre beleidigend, aber etwas a n deres kann ich dir anbieten.“
„Ich brauche nichts. Auch keinen Dank für die zehn Ja h re.“
Die Augen brannten ihm, und er blinzelte so diskret wie möglich. Er spürte, daß ihm die Vernunft rasch abhanden kam, irrationale Emotionen stiegen hoch, unerwünschte, schmerzl i che Sehnsüchte faßten nach seinem Hirn.
Gorstein lachte, als wolle er sich entschuldigen. „Du hast mich mißverstanden. Was ich dir anbieten kann, ist etwas, das mir sehr teuer ist – und dir auch, wie ich hoffe.“
„Was ist das?“
„Weitere Freundschaft“, entgegnete Gorstein, und es klang i r gendwie selbstzufrieden.
Ashka schwieg darauf. Der Schock war fast untragbar. Daß Go r stein so etwas auch nur anbieten mußte, daß er sich dessen b e wußt war, machte es nur um so mehr zur Lüge! Freun d schaft? Freundschaft gab es nicht. Solche Gefühle hatte Go r stein nie für Ashka gehegt. Wie dumm er gewesen war zu glauben, daß eine solche Beziehung jemals besta n den hatte!
„Danke“, sagte er trübe. Hilflos weinte er ein paar Seku n den lang, den Kopf auf der Brust, die Hände ordentlich auf den gekreuzten Beinen gefaltet. Die heißen Tränen befeuc h teten den Stoff zwischen seinen Fingern. Gorstein blieb stumm, und als Ashka nach ein, zwei Minuten aufsah, ve r flüchtigte sich eben der Schatten eines Lächelns vom G e sicht des Schiffsme i sters.
Er denkt, ich weine vor Freude …
Laut sagte Ashka: „Du sagtest – trotz allem, wozu ich dich vera n laßt habe – was meintest du damit? Das ching?“
„Natürlich. Wie ein Priester in alten Zeiten hast du mich mit e i ner Schamanismen-Diät gefuttert, hast mich geleitet und kontro l liert – o ja, du hast mich geleitet und kontrolliert, Peter –, von einer Prophezeiung zur anderen hast du mir niemals g e stattet, selbst zu wählen – immer war mir die Wahl vorgeg e ben, und allenfalls konnte ich entscheiden, ob die eine oder die andere Alternative die weisere war – und oft genug gab es gar keine A l ternative – tu das und das, oder es geht schief.“
„Aber ist es denn nicht gut, wenn man Alternativen b e kommt?“
„Nein, Peter! Das ist gar nicht gut.“
„Wenn du dir alles selbst richtig überlegt hättest, Karl, dann wärest du jedesmal zu der gleichen Entscheidung g e langt. Was kann denn überhaupt beim Vergleich eines A n satzes mit dem anderen richtig oder falsch sein?“
Gorstein beugte sich vor, als wolle er den Rationalisten mit se i ner Eindringlichkeit umschließen, und sagte leise: „Wo auch immer unsere Rasse von irgend etwas abhängig wird, wird sie schwach. Abhängigkeit von Maschinen oder von Mensch zu Mensch … das ist Schwäche, und die kann ausg e nutzt werden. Orakel zu brauchen ist eine Schwäche, Peter, ein Zeichen, daß wir die Fähigkeit verloren haben, die Dinge zu durchdenken … jedes Orakel im ganzen Imperium sagte, die alte Föderation wü r de zerfallen, und sie zerfiel. Wieviel hat die Hoffnungslosigkeit auf Grund dieser Vo r aussage zum Zerfall beigetragen? Ich bin ganz einfach zu dem Schluß gekommen, daß ein Orakel eine Krücke ist – ich sage nicht, daß es nicht funktioniert; aber es ist eben eine Krücke, und wir sind nicht lahm, mein Freund … nicht, wenn wir uns die Mühe machen, richtig hinzusehen!“
„Aber was hat denn das mit Lahmheit zu tun! Der freie Wille wird doch nicht beeinträchtigt! Das ching entscheidet doch nicht für uns!“
„Freier Wille ist mehr als nur Freiheit und Entscheiden, Peter. Viel mehr. Er ist das Wesen unserer Rasse …“
„Das bezweifelt doch niemand!“
„Aber das ching unterdrückt ihn.“
„NEIN!“ rief Ashka aus.
„Doch, Peter, jawohl. Ching hier, ching dort – dabei st a gniert der Mensch. Alles ist wunderschön, der Weg ist g e ebnet, das Leben ist so einfach, paß hier auf, paß da auf, en t spanne dich hier, en t spanne dich da – laß das
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