Erebos
auf Lelants Dolch.
Eine Pause schien eine gute Idee zu sein. Essen schien eine gute Idee zu sein. Er würde aufstehen, hinausgehen und einen Abstecher in die Küche machen. Mum kochte bestimmt schon, keine Frage. Er starrte auf den Bildschirm, die Straßen der Stadt, sein elfisches Ich. Konnte sich nicht losreißen. Etwas sagte ihm, dass jeden Moment etwas passieren würde. Ein Angriff von Orks, ein Auftrag des Boten, eine Quest, ein Rätsel. Etwas, das er verpassen würde, wenn er jetzt abschaltete.
Eine Stunde vielleicht? Eine Stunde, um zu essen, ein paar nette Worte mit Mum und Dad zu wechseln und … aufs Klo zu gehen. Erst jetzt bemerkte er, wie dringend er musste und wie verdreht er auf seinem Stuhl saß, um den Druck seiner Blase erträglich zu halten.
Na los, geh schon. Aber erst musste er das Programm beenden. Nick tastete mit dem Mauszeiger über den Bildschirm. Wo konnte er das Spiel speichern und beenden? Bis jetzt, fiel ihm auf, hatte er das noch nie getan. Das Spiel hatte ihn hinausgeworfen oder zwangspausieren lassen, von selbst hatte er es noch nie verlassen. Wahrscheinlich war das gar nicht vorgesehen.
Nick erwog seine Möglichkeiten. Er konnte einfach den Computer herunterfahren, doch das war riskant. Wenn es dem Boten nicht gefiel, knöpfte er ihm womöglich die mühsam erworbenen Level wieder ab. Oder ihm fiel noch Schlimmeres ein.
Eine andere Möglichkeit war, den Computer laufen zu lassen und nur den Bildschirm auszuschalten. Dann würde Sarius wie angenagelt auf der Straße stehen bleiben und jede dahergelaufene Eins konnte ihm seine Habseligkeiten abnehmen. Auch keine gute Idee.
Nicks Blase fühlte sich an wie kurz vor dem Zerplatzen. Er musste aufs Klo, da half gar nichts. Nur noch schnell Sarius in Sicherheit bringen. Aber wohin?
Die Idee kam wie aus heiterem Himmel – er hatte doch ein Zimmer gemietet! Er ließ seinen Elfen durch die nächtlichen Straßen der Weißen Stadt laufen, als wäre das große Glotzauge persönlich hinter ihm her. War er hier richtig? Er erinnerte sich an eine schmale Treppe, die neben einem Bäckerladen aufwärtsführte – dort musste er entlang und danach gleich rechts. Nur, wo war die vermaledeite Treppe?
Er ließ Sarius laufen, laufen, laufen. Der blaue Balken der Ausdaueranzeige wurde zunehmend kürzer – und das, obwohl er eine Sechs war! Wenn er sich nicht bald zurechtfand, würde er es bleiben lassen und einfach pinkeln gehen. Aber nicht hier, an dieser finsteren Ecke, da drückten sich verdächtige Gestalten herum.
Bäckerei. Treppe. Endlich. Er hetzte Sarius über die Schwelle des Gasthofs, die knarzenden Stiegen hinauf bis zu seiner Kammer. Tür zu. Bildschirm aus. Und jetzt schnell, oh bitte, schnell …
Nick sprang auf, rannte wie von wilden Hunden gehetzt aus dem Zimmer, sprintete zur Toilette. Schaffte es gerade noch.
»Nick?«, rief sein Vater aus dem Wohnzimmer. »Wenn du noch einmal so mit den Türen knallst, kannst du etwas erleben.«
Es gab Gemüselasagne mit Tofu statt Fleisch, doch Nick beschwerte sich diesmal nicht. Er schmeckte kaum, was er aß. Seine Eltern unterhielten sich über den Kinofilm, den sie gesehen hatten, und waren mit einem gelegentlich eingeworfenen »Mhm« oder »Aha« von seiner Seite zufrieden, wunderten sich allerdings über die Mengen, die Nick in sich hineinschaufelte. Er war selbst erstaunt, bis ihm klar wurde, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.
Auch jetzt musste er sich beeilen. Er hatte Sarius allein im Gasthof zurückgelassen, ungeschützt und online. Was, wenn es einen Brand gab? Oder einen Überfall? Was, wenn Lelant ihn ausfindig gemacht hatte?
Ich hätte die Internetverbindung trennen sollen, dachte Nick. Obwohl ich keine Ahnung habe, was dann passiert. Ob die Gnome es mir übel nehmen und es dem Boten berichten?
Schon halb im Aufstehen schob er den letzten Bissen auf seine Gabel.
»Danke, es war richtig gut!« Er lächelte seine Mutter an, sie lächelte zurück. Alles war in Ordnung, nur sein Vater zog schon wieder ein Gesicht.
»Sag bloß, du gehst schon wieder lernen. Das nehme ich dir nicht ab.«
»Nein, für heute war es genug«, sagte Nick und gähnte demonstrativ. »Ich werde noch ein bisschen lesen und dann schlafen, ich bin total hinüber.«
»Als du das letzte Mal um diese Zeit schlafen gegangen bist, warst du acht.«
»Ich sagte doch, ich will vorher noch lesen!«, gab Nick zurück, heftiger als gewollt. »Entschuldige bitte. Chemie macht mich irgendwie
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