Erfindergeist
bemerken, sie wirkte etwas abwesend.
»Alles in Ordnung mit dir und dem Kind?«, fragte ich.
Sie nickte wortlos.
Paul meldete sich nun zu Wort. »Das dauert aber verdammt lang mit meinem Brüderchen. War ich auch so lahm?«
Jetzt brachte Stefanie ein kleines Lächeln zustande. »Paul, ich habe es dir doch bestimmt bereits tausendmal erklärt. Das dauert noch über sieben Monate, und ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, wissen wir auch noch nicht.«
»Es muss aber ein Junge werden. Wenn es ein Mädchen wird, muss ich mich ja mit zwei Zicken herumärgern!«
Melanie streckte ihm die Zunge raus und schmiss eine seiner Figuren vom Brett.
»Du, Papa, ich kenne einen neuen Witz!«
Oha, Paul hatte wieder einen neuen Witz. Er war immer noch im Witze-Erzählfieber. Ich gab mich geschlagen. »Na los, erzähl schon.«
»Ein Papa fragt seinen Sohn, wie es in der Schule war. Er antwortet: ›Super, wir haben gelernt, wie man Sprengstoff herstellt.‹ Darauf fragt der Vater: ›Und was werdet ihr morgen in der Schule lernen?‹ Da fragt der Sohn zurück: ›Welche Schule?‹«
Als pflichtbewusster Vater lachte ich überschwänglich. Melanie und Stefanie reagierten dagegen mit keiner Miene auf die Darbietung.
Zaghaft erzählte ich meiner Frau vom Besuch bei dem Notar. Aus Feigheit informierte ich sie nicht über alle Details. Die Erwähnung des Vereins in Jacques’ Brief behielt ich für mich und gab zudem mein Bestes, den Inhalt des Schreibens zu verharmlosen, sodass sie sich nicht unnötig aufregen musste. Ich hatte den Eindruck, dass sie überhaupt nicht richtig zuhörte.
»Jutta hat angerufen«, wechselte Stefanie aus heiterem Himmel das Thema. »Sie hat mir von Gerhards Krankheit, KPD und dem zweiten Mordfall erzählt.«
»Und jetzt?«, fragte ich sie in Erwartung einer Gardinenpredigt oder noch Schlimmerem.
»Was, und jetzt? Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass wir uns heute schon mehr als einmal Sorgen um dich gemacht haben. Zum Glück hast du Jutta. Sie hat mir wenigstens die ganze Geschichte erzählt und nicht, wie du es zu tun pflegst, die Hälfte verschwiegen. Ich mache dir einen Vorschlag, Reiner. Wir vergessen den heutigen Tag und fangen morgen einfach noch mal von vorne an. Jutta sagte mir, dass sie morgen zwei Leihermittler von einem anderen Kommissariat bekommt. Dann kannst auch du endlich mal ausspannen.«
»Was? Jutta bekommt Personal aus einer anderen Abteilung? Das kann nicht gutgehen, Stefanie!«
»Doch, das kann es. Du bist nicht so unersetzlich, wie du denkst, merk dir das. Das gilt übrigens auch für unsere Beziehung!«
Bumm, das saß.
»Okay, ich gebe mich geschlagen. Was machen wir morgen?«
»Darüber werden wir noch reden. So viel steht fest, wir werden auf keinen Fall einen Ausflug in den Holiday Park machen, verstanden?«
Ich nickte ergeben. Ich musste Jutta unbedingt danken. In manchen Dingen sind Frauen wirklich geschickter.
Der Abend lief sehr gut. Stefanie stellte ein Essen auf die Beine, das höchstwahrscheinlich sogar den gehobenen Ansprüchen KPD s gerecht geworden wäre. Meinen Kollegen konnte ich bei der Weihnachtsfeier so etwas allerdings nicht zumuten. Allein die aufwendige Zubereitung. Ich würde verrückt werden, wenn ich eine Stunde Arbeit investieren müsste und das Ergebnis innerhalb von zehn Minuten weg wäre. Von den Bergen an schmutzigem Geschirr ganz zu schweigen. An diesem Abend habe ich sogar, und das ohne zu murren, mitgeholfen. Stefanie ließ mich ein Gemüse, keine Ahnung, um welches es sich handelte, in Würfel schneiden. Sie rümpfte zwar die Nase über das Ergebnis, sagte aber kein Wort. Das Resultat konnte sich sehen lassen. Stefanie aß mit Genuss, die Kinder verzogen bei dem Gemüse die Gesichter, trauten sich allerdings nicht, etwas zu sagen, und ich spülte das bunte Potpourri mit zwei Flaschen Pils hinunter. Aus Rücksicht auf Stefanie trank ich mein Bier heute sogar aus einem Glas.
Als die Kinder friedlich im Bett lagen, wollte ich mich ebenfalls zur Ruhe begeben. Doch auf meinem Bett lag ein Buch. Ich ahnte sofort, was auf mich zukam. ›Die 10.000 besten Kindernamen‹ las ich auf dem Umschlag. Stefanie, die nach mir ins Schlafzimmer kam, drückte mir einen Bleistift in die Hand. »Heute bist du mit den Jungennamen dran, mein lieber Reiner. Markiere in dem Buch deine Favoriten, damit wir morgen unsere Vorschläge abgleichen können, ich habe das Buch bereits durchgearbeitet«, erklärte sie, hoffentlich auf die ironische Tour.
Ich kam
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