Erfindergeist
gelegen, standen einstöckige Siedlungshäuser. Das Haus der Familie Bernhardus war nicht zu übersehen. Unglaublich, wie viele verschiedene Pflanzen man in einem kleinen Vorgarten unterbringen konnte. Glücklicherweise hatten die Besitzer mit Terrakottaplatten, die in großzügigem Abstand verlegt waren, einen schmalen Gehweg geschaffen. Neben dem Eingang des Backsteinhauses war ein Schild aus Ton befestigt. Darin eingeritzt konnte ich die Botschaft lesen: ›Hier wohnen natürlich Wolf und Anna Bernhardus‹. Das Wort ›natürlich‹ war wesentlich größer als die anderen und mit einem verschnörkelten Muster verziert. Ich betätigte einen gusseisernen Türklopfer, dessen Ring auf einen darunter befestigten Knopf aufschlug, der die Form einer stilisierten Sonne hatte.
Als Anna Bernhardus öffnete, wusste ich nicht, wo ich zuerst hinblicken sollte. Zuerst an Frau Bernhardus vorbei in das Wohnzimmer, das einen Indoor-Dschungel zu beherbergen schien, oder auf die Hausherrin, eine zierliche Frau mit langem Pferdeschwanz und einem Batik-Sweatshirtkleid. Sie konnte nicht viel größer als 1,50 Meter sein und trug ihren rechten Arm in Gips.
»Guten Tag, Herr Palzki«, begrüßte sie mich. »Ihre Kollegin hat vor ein paar Minuten angerufen. Kommen Sie doch rein.«
Als wir ins Wohnzimmer eintraten, bemerkte ich, dass sie leicht humpelte. Es war etwas ungewohnt, direkt hinter der Eingangstür im Wohnzimmer zu stehen.
»Setzen Sie sich bitte«, sagte sie freundlich.
Ich nahm zwischen zwei Palmen auf einem Bambusstuhl Platz. Es war nicht zu fassen, hier gab es noch mehr Grünzeug als bei meiner Nachbarin, Frau Ackermann. Bis vor zwei Minuten hätte ich das noch für unmöglich gehalten. Dass es draußen bereits dämmerte, konnte man in dem scheinbar fensterlosen Zimmer nicht erkennen. Der Raum war mit Pflanzenleuchten ausgestattet und erstrahlte in einem seltsam diffusen Licht.
»Wir leben … oh, ich meine, ich lebe hier im Einklang mit der Natur. Und ob Sie es mir glauben oder nicht, wir haben bisher noch nie einen Arzt gebraucht!« Tränen liefen über die Wangen hinweg auf ihr Kleid. Das schien sie nicht weiter zu stören. »Wir hatten so viel geplant, aber jetzt, nachdem Wolf ermordet wurde, ist alles zunichte gemacht.«
»Das mit Ihrem Mann tut mir sehr leid«, versuchte ich sie zu trösten. »Wir werden alles unternehmen, um den Täter so schnell wie möglich zu schnappen. Wie sah denn Ihre weitere Lebensplanung aus?«
Sie schniefte ein- oder zweimal, bevor sie mir antworten konnte: »In gut zehn Jahren wäre Wolf in Rente gegangen. Danach wollten wir nach Brasilien auswandern. Wir haben dort Kontakt zu einem Eingeborenenstamm, den wir seit Jahren finanziell und ideologisch unterstützen.«
Den Bambusstuhl fand ich alles andere als bequem. Um keine Druckstellen zu bekommen, stand ich auf und tat, als würde ich das mir unbekannte Grünzeug bewundern. Langsam tastete ich mich zum Grund meines Besuchs vor. »Sie haben meiner Kollegin am Telefon gesagt, Sie könnten mir ein paar Infos über den Tod Ihres Mannes geben.«
Frau Bernhardus, die stehen geblieben war, wischte mit ihrem Ärmel über die Augen. »Ja, natürlich. Dummerweise haben wir wenig darüber gesprochen. Zu wenig, wenn man bedenkt, was nun passiert ist.« Sie seufzte, bevor sie fortfuhr. »Mein Mann war irgendetwas, das mit seinem Arbeitsplatz, dem Holiday Park, zu tun hatte, auf der Spur. Doch außer ein paar Ungereimtheiten konnte er nichts entdecken. Es gab nur gewisse Anhaltspunkte, verstehen Sie?«
»Nein, nicht wirklich – wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Um welche Anhaltspunkte dreht es sich denn?«
»Wenn ich das nur so genau wüsste. Meinem Mann war es ja selbst nicht ganz klar, es fehlten ihm noch ein paar Puzzleteile, damit das alles einen Sinn ergab.«
»Erzählen Sie mir einfach etwas über die Puzzleteile, die Ihr Mann bereits gefunden hatte.«
»Nach Parkschließung dauert es abends gewöhnlich noch eine halbe Stunde, bis alle Besucher und Mitarbeiter das Gelände verlassen haben. Ab diesem Zeitpunkt darf sich niemand mehr ohne vorherige Genehmigung im Park aufhalten. Als Ausnahme gelten nur die Nachtwächter, die zu bestimmten Uhrzeiten Streife laufen. Mein Mann hatte Ende September viel zu tun. Innerhalb von ein paar Tagen musste alles für Halloween umdekoriert werden. Der Park hatte unter der Woche zwar ein paar Tage geschlossen, das reichte jedoch keineswegs für die zahlreichen Vorbereitungen. Aus
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