Erfindung der Violet Adams
ihr sprach, meinte sie, so etwas wie Schuldgefühle in den dunklen Ringen um seine Augen zu erkennen. Sie hatte ihn gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei, doch er hatte nur »Nein … nichts … « geantwortet und sie stehen gelassen. Sie konnte wirklich nicht mehr tun, als zu versuchen, eine pflichtbewusste Cousine zu sein, ihm abends seinen Tee zu bringen, wenn er noch im Labor war, und ihm zu erzählen, wie der Unterricht bei den verschiedenen Schülern lief, so wie sie es von Ashton gehört hatte. Ernest schien jedes Mal blasser zu werden, wenn sie Ashton erwähnte.
Und auch Ashton verhielt sich seit Tagen ein wenig sonderbar. Als Ernest erwähnte, dass Ashton eine Schwester hatte, wurde ihr bewusst, dass sie wirklich nicht viel über ihn wusste. Sie arbeiteten zusammen und sprachen über wissenschaftliche Themen, aber nicht über sich. Wie sollte sie ihn dazu bringen, sie zu lieben, wenn sie ihn nicht als Mensch, sondern nur als Wissenschaftler kannte? Doch in der letzten Zeit war er seltsam zugeknöpft, fast introspektiv geworden, als wäre er in seinen Gedanken mit etwas ganz anderem beschäftigt.
»Geht es Ihrer Schwester gut?«, erlaubte sie sich an einem der Tage zu fragen, als sie seine Skizzen für die Gussformen ausmaß.
»Wie bitte?«, fragte Ashton.
»Ihrer Schwester? Mein Cousin hat erwähnt, dass Sie eine Schwester haben, und Sie wirken so zerstreut, deshalb habe ich mich gefragt, ob Ihre Schwester vielleicht irgendwelche Probleme hat.«
»Nein. Nein, nichts in der Art. Keine Probleme. Ich bin nicht zerstreut. Ich arbeite nur.«
»Sie haben mir nie erzählt, dass Sie eine Schwester haben.«
»Ja. Sie ist sogar meine Zwillingsschwester.« Ashtons Augen weilten auf der Bronze, die vor ihm auf dem Tisch lag.
»Und das haben Sie mir nie erzählt«, schmollte Cecily.
»Nun, ich denke nein«, sagte Ashton. Er blickte immer noch nicht auf.
»Ashton.« Cecily sah ihn an, doch er wich ihrem Blick aus. »Ashton«, sagte sie noch einmal, streckte die Hand aus und legte ihm einen Finger unter das Kinn und hob sein Gesicht an, damit er sie ansah. »Sind wir Freunde?«
»Natürlich«, sagte Ashton und wurde rot. Miriam stand in der Ecke und trat einen Schritt auf sie zu.
Cecily zog ihre Hand zurück. »Dann sollten wir auch wie Freunde miteinander sprechen, nicht?«
»Ich dachte, das täten wir.«
»Wir sprechen über Maschinen und Chemikalien … Aber Sie haben mir nie von Ihrer Schwester erzählt. Und Sie haben mich nie nach meiner Familie gefragt.«
»Ich fand das nicht … Ich fand das nicht passend«, sagte Ashton. Er klang, als wäre ihm das gerade eingefallen.
Cecily verschränkte die Arme. »Der Tod meiner Mutter und das Verschwinden meines Vaters sind sensible Themen, ja, aber Sie hätten mich nach meinem Cousin fragen können.«
»Ich denke nicht, dass das passend wäre«, sagte Ashton und wurde noch röter.
»Sie würden das bestimmt nicht zu Ihrem Vorteil nutzen«, meinte Cecily. Doch Ashton schien sich bei dieser Vorstellung extrem unwohl zu fühlen, deshalb versuchte sie es mit einem anderen Thema. »Erzählen Sie mir von Ihrer Schwester. Wie ist sie?«
»Sie ist … sehr intelligent«, sagte Ashton, »aber nicht sehr damenhaft. Sie trägt keine schönen Kleider wie Sie und benimmt sich nicht immer, wie es sich gehört. Manchmal … Ich denke, vielleicht ist sie in gewisser Weise der Pfahl im Fleisch meines Vaters.« Ashton ließ die Hände sinken, als er vor sich hin starrte. »Manchmal ist sie wirklich sehr dumm. Sie tut Dinge, ohne darüber nachzudenken und ohne zu wissen, warum. Dumme, furchtbare Dinge.«
»Ist sie wirklich so schlimm?«
»Schlimm? Nein. Sie ist nicht schlimm. Ich wünschte nur … Sie ist so intelligent. In wissenschaftlichen Dingen jedenfalls. Ich denke … ihr ist gar nicht klar, wie albern sie sich sonst oft benimmt. Für sie ist es so selbstverständlich, intelligent zu sein, dass sie zu selbstsicher ist.« Ashton blickte auf, schien zu realisieren, was er da sagte, griff nach einem in der Nähe liegenden Hammer und begann, auf die Bronze einzuhämmern.
»Meinen Sie, wir würden uns verstehen?«, fragte Cecily.
»Ja«, lächelte Ashton. »Ich denke, Sie könnten gute Freundinnen sein, wenn nichts zwischen Sie käme.« Er senkte erneut den Blick, als er das sagte.
»Was sollte denn zwischen uns kommen?«
»Wie ich gesagt habe, benimmt sie sich manchmal wie ein sehr dummes Mädchen. Ich glaube nicht, dass ihr immer bewusst ist, welche Folgen ihre
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