Erfindung der Violet Adams
Cecily war besonders kompliziert, da sie für ihn so vieles war: eine Cousine und eine Schwester, da sein Vater vor acht Jahren nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verschwinden ihres Vaters, eines angesehenen Forschers, der auf der Suche nach der entschwundenen Welt von Lemuria verschollen war, die Verantwortung für sie übernommen hatte. Und jetzt war Cecily für ihn wie eine Tochter, da diese Aufgabe an ihn weitergegangen war, als sein Vater zwei Jahre später starb.
Doch was war mit den Dahlien? Er war beinahe damit fertig, die Bewerbungen für das kommende Schuljahr durchzusehen, dieses Mal waren es über einhundert. Als er Ashton Adams’ Mappe in der Hand gehalten hatte, hatte er, ohne sich dessen bewusst zu sein, zu den Dahlien hinübergesehen. Es war offensichtlich, dass der junge Adams brillant war und es verdient hatte, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, doch der Duke fragte sich, ob er genauso sonderbar, genauso launenhaft wie seine mysteriöse Schwester war. Er hatte im letzten Monat immer wieder an Violet denken müssen, sich an das grüne Band um ihren Hut, an das dunkle Silber ihrer Augen erinnert. Er war nicht der Typ Mann, der stundenlang Tagträumen über eine junge Frau nachhing, doch sie und ihr plötzlicher Abgang gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er war von ihr fasziniert. Sie kam ihm wie eine Maschine vor, die in bester Verfassung zu sein schien und doch plötzlich stehen blieb. War er dagegengestoßen? Was konnte er tun, um den Schaden, wie immer dieser auch aussehen mochte, zu reparieren? Es war ihm ein Rätsel.
Er sah auf die Uhr an der Wand. Fast Abendessenszeit. Mit einem Seufzer stand er auf und zog an der Schnur, die seinen Lakaien herbeibeorderte. Der Lakai hatte, wie fast alle anderen Angestellten auch, zuerst für den Vater des Dukes gearbeitet. Der Duke hatte oft das Gefühl, dass er ihm eine Art Missachtung entgegenbrachte, weil er nicht so genial wie sein Vater war. Doch er konnte den Diener auch nicht einfach entlassen, da er im Stillen vermutete, dass er recht haben könnte und dass er einen schlechten Präzedenzfall schaffen würde, würde er Leute nur deshalb entlassen, weil sie recht hatten.
»Bitte, holen Sie Mrs Isaacs und sagen Sie ihr, dass ich vor dem Abendessen gerne mit ihr sprechen möchte«, bat er den Diener, der nickte und wahrscheinlich höhnisch lächelte, bevor er aus seinem Blickfeld verschwand. Miriam Isaacs war Cecilys Gouvernante, und der Duke wollte sie nach ihrer Meinung fragen, ob Cecily weiter in Illyria bleiben sollte oder nicht. Sie würde wissen, was zu tun war.
Mrs Isaacs erschien schnell und leise, die Hände vor dem Körper gefaltet. Obwohl sie jünger war als der Duke – vermutlich Mitte zwanzig, sie hatte etwas Altersloses an sich, und er hatte sie nie nach ihrem Alter gefragt – , schüchterte sie ihn ein.
Sie war eine in Persien geborene Jüdin. Ihre Familie war nach Paris gezogen, als sie noch ein Kind, und weiter nach London, als sie sechzehn war. Sie hatte geheiratet und war noch vor ihrem neunzehnten Geburtstag Witwe geworden, und auch ihre Eltern waren tot. Dennoch war sie stark und ruhig und hatte eine fremdartige Würde, die sie in den Augen des Dukes sehr viel ernsthafter erscheinen ließ als jeder Engländer. Sie trug scheinbar immer das gleiche schwarze Kleid mit einem hohen Kragen und langen Ärmeln, nur dass es nie schmutzig war, und ihr dickes, schwarzes Haar hatte sie immer zu einem Knoten hochgesteckt. Sie war dünn und dunkelhäutig, mit großen Mandelaugen und nicht unbedingt das, was man im modischen Sinne als hübsch bezeichnen würde, doch sie strahlte diese unterschwellige Fremdartigkeit aus, und sie sprach Englisch – und Französisch und Deutsch und Persisch – mit einem bezaubernden, musikalischen Akzent und konnte darüber hinaus noch Hebräisch und Latein lesen. Sie war klug und hatte die Welt gesehen, sie hatte geliebt und ihre Liebe verloren. Aus all diesen Gründen hatte er sie eingestellt. Sie war auch eine exzellente Gouvernante, stets ruhig und ernsthaft und trotzdem herzlich gegenüber Cecily. Sie hatte eine beruhigende Wirkung auf den Duke, und er sah in ihr die Mutterfigur, mit der er über den Umgang mit jungen Damen sprechen konnte, vor allem wenn Cecily ihn zu hassen schien.
»Sie haben nach mir geschickt, Sir?«, sagte Mrs Isaacs, als sie das Zimmer betrat.
»Könnten Sie Cecily wohl dazu bewegen, heute Abend mit mir zu essen?«
»Ihr Vorschlag, sie wegzuschicken, hat sie sehr
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