Erfindung der Violet Adams
»Ganz schön selbstbewusst für so einen dürren Kerl«, sagte er. »Ich mag euch beide. Wir werden sehen, ob ihr zu richtigen Kumpel werdet. Warum treffen wir uns nicht heute Abend nach dem Essen im Eingang der Großen Halle? Die meisten Jungs gehen nach oben zum Lernen, doch Drew und ich genießen lieber die diversen Freuden, die die schöne Stadt London zu bieten hat.«
»Toby ist ein Baron, deshalb ist er auch wer in der Stadt«, sagte Drew verschwörerisch.
»Dann bist du Sir Toby?«, fragte Violet.
»Nur wenn ein Angeber fragt«, grinste Toby. »Ansonsten rede ich nicht viel darüber. Die Hälfte der Verrückten hier ist aristokratischer Abstammung. Wenn du es herauskehrst, machst du dich nur lächerlich.«
»Wir werden nichts sagen, und wir versprechen, dass es uns egal ist«, gab Jack sein Wort.
»Gut«, sagte Toby, aß seinen Teller leer und schüttete eine große Tasse kalten Tee in sich hinein. »Wie auch immer, ich gehe jetzt ins Chemielabor. Ich will doch mein Heilmittel perfektionieren.« Er rülpste laut, dann verließ er den Speisesaal und ließ Violet und Jack allein mit Drew, der sorgfältig die Rinde von seinem Brot abschnitt.
»Er arbeitet an einem Heilmittel?«, fragte Violet.
»Für was?«
»Für einen Kater nach einer durchzechten Nacht«, antwortete Drew. »Ich sollte wohl auch besser gehen. Ich habe noch viel zu tun.«
»Woran arbeitest du?«, wollte Violet wissen.
»An einem Parfüm, das nur ganz schwach riecht, bis der, der es trägt, stärker schwitzt«, sagte Drew, seine Schultern zuckten leicht. »Der Duft kompensiert das Schwitzen, indem er auch stärker wird. Und man muss sich keine Gedanken mehr machen, schlecht zu riechen.«
»Das wäre was für mich«, sagte Jack. »Wenn es nicht zu intensiv wird. Ich will schließlich nicht wie eine Frau riechen.« Violet nickte zustimmend und versuchte, ernst und männlich auszusehen.
»Das ist eins der Probleme«, sagte Drew und tippte sich mehrmals auf die Nase, bevor er sich mit der Hand durchs Haar fuhr. »Wenn es wirkt, riecht der, der schwitzt, sofort wie ein Lavendelbeet. Außerdem wirkt es nicht immer. Es hat etwas mit der chemischen Zusammensetzung des Schweißes zu tun. Deshalb muss ich noch mehr Schweiß sammeln. Glücklicherweise schwitze ich stark«, sagte er. Dann lächelte er und ging und ließ seinen schmutzigen Teller neben Tobys stehen. Ein Diener, der die Unordnung gesehen hatte, kam und räumte die Sachen weg, worauf der halbe Tisch leer war.
»Mit denen wollen wir die nächste Zeit verbringen?«, fragte Violet.
»Komm schon, das scheinen ganz gute Kumpel zu sein. Jedenfalls gut, um Spaß zu haben. Sehen wir mal, was sie heute Abend vorhaben, in Ordnung?«
Violet seufzte.
»So etwas macht man als Mann«, betonte Jack.
»Schon gut«, gab Violet nach. »Aber wenn es etwas Langweiliges oder Unanständiges ist, suchen wir uns andere Gesellschaft.«
»Gut, aber nur wenn es sehr unanständig ist. Mit etwas Frivolität musst du schon rechnen. Wir sind schließlich in London.«
Violet musste trotz allem grinsen. Sie war aus diversen Gründen skeptisch, zu den anderen Schülern eine zu enge Bekanntschaft zu pflegen, nicht zuletzt, weil sie hier war, um zu studieren. Sie wollte sich nicht zu sehr ablenken lassen. Doch Jack schien außer ihr auch noch andere Freunde zu brauchen, was nur angemessen war. Ihre zweite Befürchtung war die, dass ihr Geheimnis entdeckt werden und Ärger mit sich bringen könnte: Bloßstellung, Erpressung oder irgendwelche anderen Gräuel aus den Schauerromanen, die Mrs Wilks immer las. Und schließlich fürchtete sie – auch wenn sie sich diese Furcht nur äußerst ungern eingestand, obwohl sie sie als Möglichkeit in Betracht ziehen musste – , sich durch eine Freundschaft mit den Männern zu diesen hingezogen zu fühlen, was sie sowohl ablenken als auch als Frau enttarnen könnte.
»In Ordnung«, sagte Jack und beendete sein Mahl. Er trank einen großen Schluck Wasser und stand auf. »Ich gehe wohl besser mal ins Biologielabor. Ich weiß noch nicht genau, was ich für die Ausstellung am Schuljahresende machen soll, aber mir schwebt irgendwas mit Organtransplantation vor. Vielleicht ein vieräugiges Frettchen?« Er führte aus, wie er mit seiner Arbeit dazu beitragen könnte, den Blinden zu neuen Augen zu verhelfen. Sehr eindrucksvoll.
Violet runzelte die Stirn und sah auf ihren Teller, den sie nur halb aufgegessen hatte. Wie hatten die anderen so schnell essen können? Vielleicht
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