Erfindung der Violet Adams
verhielt sie sich immer noch zu geziert und weiblich. Sie nickte Jack zu, stand ebenfalls auf und verließ mit ihm zusammen den Speisesaal. Es war ihre erste richtige Gelegenheit, in dem Mechaniklabor zu arbeiten; sie war zu aufgeregt, um Hunger zu haben. Natürlich hatte sie am Vortag darin gearbeitet, doch das war etwas anderes gewesen; Professor Bunburry hatte nicht an seinem Pult experimentiert, bereit, Ratschläge und Empfehlungen auszusprechen.
Doch heute war er da. Es waren nur noch zwei andere Schüler im Labor, die nicht aus ihrem Jahrgang waren, und sie waren bereits beschäftigt. Violet setzte sich an einen Tisch in der Nähe, holte ihr Zeichenpapier heraus und fragte sich, was sie bauen sollte. Wenn sie zum Ende des Jahres ein wirkliches Wunderwerk kreieren wollte, war es Zeit anzufangen, doch die Frage war, was? Das leere Papier kam ihr grenzenlos vor, genau wie der Druck, eine bewunderungswürdige Erfindung zu machen. Jede Idee, die ihr kam, verwarf sie sofort als zu bedeutungslos oder zu unelegant. Was wäre sowohl schön als auch nützlich? Was würde sowohl ihre Intelligenz als auch ihr künstlerisches Geschick demonstrieren?
Wie eine Antwort auf diese Frage trat Cecily in den Raum. Violet bemerkte sie zunächst nicht, doch da sie die anderen Schüler nicht mehr arbeiten hörte, hob sie den Blick, um zu sehen, was die Stille hervorgerufen hatte. Cecily stand in der Tür zum Labor, die warme Luft strömte an ihr vorbei und fuhr ihr leicht in die Haare. Sie trug ein Kleid aus dunkler rosafarbener Seide mit passenden karierten Unterröcken und hatte ein lebensgroßes goldenes Kaninchen auf dem Arm. Sie betrat vorsichtig das Labor. Miriam Isaacs folgte ihr leise wie ein schmaler, lauernder Schatten. Violet hatte Miriam bisher noch nicht gesehen, und obwohl klar war, welche Position sie bekleidete – wer anderes als eine Gouvernante trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid? – , fragte Violet sich neugierig, was für eine Art Frau sich um eine Anstellung in diesem Tempel der Wissenschaften bewarb. Ihre dunkle Haut, ihr schmales Gesicht und ihre großen, dunklen Augen ließen auf Intelligenz schließen. Sie sah sich schnell in dem Raum um, nahm die Gesichter der Schüler in sich auf und machte sich ein Bild von ihnen. Miriams Blick landete auf Violet und drang in sie ein wie die Hände eines Chirurgen, schaute sich um und ließ schnell wieder von ihr ab, nachdem sie keine unmittelbar von ihr ausgehende Gefahr für Cecily hatte ausmachen können.
»Mr Bunburry?«, fragte Cecily leise und trat auf den Professor zu. Bunburry machte ein paar ungeschickte, steife und verlegene Bewegungen, die anzeigten, dass er sich erheben und verneigen wollte, doch Cecily bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. »Ich wollte Sie nicht stören. Es ist nur so, dass Shakespeare nicht mehr funktioniert. Vielleicht kann ihn einer der Schüler für mich reparieren? Ich bin mir sicher, dass es nicht lange dauern wird. Ich habe ihn gestern aufgemacht, um nach dem Fehler zu sehen, aber ich hatte keinen Erfolg. Ich bin nicht so gut mit Getrieben und Federn wie mit Bechergläsern und chemischen Gebräuen.«
Violet runzelte die Stirn. Demnach war Cecily ebenfalls wissenschaftlich interessiert. Sie war in der Akademie nicht nur eine Beobachterin.
»Aber natürlich, meine Liebe«, erwiderte Bunburry mit seiner schnarrenden Stimme. »Fragen Sie Mr Adams, er ist einer der neuen Schüler.« Er sah in Violets Richtung und neigte leicht den Kopf.
»Danke«, sagte Cecily, drehte sich zu Violet um und kam auf sie zu. Violet war sofort seltsam zumute. Sie sah, dass sie Cecily als Mann gefiel, während sie gleichzeitig eine sofortige Kameradschaft zu Cecily empfand: eine andere Frau der Wissenschaft – eine andere intelligente Frau. Doch Cecily durfte sie selbst sein, Kleider tragen und mit sanfter Stimme reden, und darauf war Violet eifersüchtig. Sie streckte den Rücken und spürte die engen Bandagen um ihre Brust. Und doch … wie schön wäre es, eine Freundin zu haben, eine andere junge Frau, mit der sie sich über wissenschaftliche Themen austauschen könnte.
»Mr Adams?«, fragte Cecily.
»Ashton«, sagte Violet und nickte.
»Ich denke, Sie haben mein Gespräch mit Mr Bunburry gehört. Ich beherrsche zwar die Grundlagen der Mechanik, doch die Wahrheit ist, dass ich sie nie angewandt habe, deshalb hoffe ich, dass Sie mir helfen können.« Sie stellte das goldene Kaninchen vor Violet, die es sich näher ansah. Es war ein aufziehbares
Weitere Kostenlose Bücher