Erfindung der Violet Adams
in Lumpen oder in Anzügen, betrunken durch die Straßen torkelnd oder in einem schmalen Durchgang kauernd. London bei Nacht war kein Ort für eine Dame, konnte sie Mrs Wilks sagen hören. Viel zu gefährlich. Die Droschke hielt im tiefsten Inneren der Stadt, in einem Teil, den sie nicht kannte, neben einem Wirtshaus mit einem goldenen Schild über dem Eingang, auf dem eine Frau mit einem großen Busen und einem ungezwungen Lächeln zu sehen war, die ein gebratenes Ferkel darbot. Drinnen war es hell, und Violet hörte Lachen und Musik.
»Steig aus«, sagte Toby hinter Violet. Sie öffnete die Tür und trat auf die Straße. Einen Moment lang war sie froh, eine Hose und Stiefel anzuhaben, in die sie diese hineinstecken konnte, da der Saum eines Rocks sicher schmutzig geworden wäre, wenn sie durch den bis zu den Knöcheln reichenden Straßenkot gegangen wäre. Als Miriam ausstieg, hob sie nur ihren Rock an, offenbar unbeeindruckt, dass ein Mann in Lumpen ihre Knöchel und sogar ihre Haut sehen konnte und ihr nachpfiff. Toby hielt ihr die Wirtshaustür auf, während er es den anderen selbst überließ, sie aufzumachen und zu sehen, was sie erwartete.
»Wo sind wir denn hier gelandet?«, raunte Violet Jack zu.
»Kein Grund zur Sorge«, flüsterte Jack zurück. »Ich denke, das ist nur ein Ort der Belustigung.«
»Wenn das ein Bordell ist, gehe ich sofort«, sagte Violet.
»Natürlich … «, beruhigte Jack sie und öffnete die Wirtshaustür. »Ich auch.«
Im dem Wirtshaus war es wärmer, als Violet erwartet hatte. Im Kamin brannte ein großes Feuer, und die Fenster waren geschlossen, um die Hitze im Raum zu halten. Der Kneipenwirt briet Würstchen über dem Feuer, und der Raum roch nach Fett und Fleisch. In einer Ecke spielte ein Mann Klavier und sang ein Lied, dessen Worte Violet nicht ganz verstand, und ein paar Männer und Frauen tanzten in seiner Nähe. In der anderen Ecke saßen Toby, Drew und Miriam an einem Tisch und winkten Violet und Jack zu, sich zu ihnen zu setzen.
»Was ist, seid ihr noch nie ausgegangen?«, fragte Toby, als sie sich hinsetzten. »Das hier ist das Pikante Schwein: hier gibt es das beste Bier im Viertel und die besten Würstchen mit Kartoffelbrei. Viel besser als der Fraß, den sie uns in Illyria vorsetzen.« Miriam lehnte sich auf eine Weise an Toby, die Violet möglicherweise selbst bei Eheleuten in der Öffentlichkeit als unpassend angesehen hätte. Doch als sie sich in dem Raum umsah, sah Violet viele andere Paare, die es ihnen gleichtaten. Es zeigte sich sogar, dass Miriam für das Etablissement sehr zurückhaltend gekleidet war. »Setz dich, Ash, und hör auf, Maulaffen feilzuhalten«, forderte Toby sie auf. »Du bist ja noch schlimmer als Drew, und ihn muss man schon ablenken, oder er schläft ein.«
»Stimmt«, sagte Drew und starrte eine besonders gut ausgestattete Bardame an, »man muss mich ablenken.«
»Nun ja, das ist kein schlechter Ort dafür«, stellte Jack fest, dessen Blick auch auf der Bardame ruhte.
»Du schläfst ein?«, fragte Violet.
Ja«, sagte Drew. »Wenn ich mich langweile. Es passiert mir einfach.«
»Geht das nicht jedem so?«, fragte Jack.
»Mir nur öfter«, sagte Drew. Die Bardame kam zurück und stellte einen schäumenden Becher vor Violet, die ihn argwöhnisch betrachtete und einen vor Jack, der sofort zu trinken begann.
»Trinkt aus«, sagte Toby. »Ich lade euch ein, weil ihr so locker mit Miriams nicht ganz so seriöser Gesellschaft umgeht.«
»Wenn eine Lady mit einem Mann, mit dem sie nicht verheiratet ist, einen trinken geht, ist sie es, die weniger seriös ist, und nicht der Mann, mit dem sie einen trinken geht«, bemerkte Miriam.
Violet schloss die Augen und trank einen Schluck. Das Bier war bitter, aber eigentümlich erfrischend und fühlte sich warm an, als es durch ihre Kehle rann.
»Ich denke, das stimmt«, gab Toby zu. »Nun gut, dann eben dafür, dass ihr mir die nicht so respektable Gesellschaft verzeiht.«
»Du bist wirklich ein Schmeichler«, lachte Miriam und rückte von Toby ab.
»Ich habe heute die beiden anderen Biologie-Schüler getroffen«, sagte Jack zu Violet, als Miriam und Toby miteinander flüsterten. Violet beobachtete, wie Tobys Finger Miriams nackten Arm hinauf und hinunter wanderten und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, auf diese Weise berührt zu werden.
»Und?«, fragte Violet und wandte sich zu Jack um.
»Ein seltsames Paar. Ein rothaariger Schotte, der nicht viel darüber hinaus zu tun
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