Erfindung der Violet Adams
darauf, sie wollten für Bunburrys Unterricht morgen lernen.
»Sollen wir uns auch präsentabel machen?«, fragte Violet Jack über den Tisch hinweg, als sie mit dem Essen fertig war. »Ich weiß nicht, wohin wir heute Abend gehen.«
»Vielleicht sollten wir uns Gesicht und Hände waschen, falls Frauen dort sind«, meinte Jack belustigt.
»Ich denke, du siehst bis auf die liebe Cecily keine Frau mehr an«, zog Violet ihn auf.
»Ich konnte dich ja schlecht als Ausnahme erwähnen, ich will dir schließlich keine Probleme machen.« Er wackelte mit den Augenbrauen. Violet grinste trotzdem. Jack flirtete nur selten mit ihr, doch irgendwie genoss sie seine Aufmerksamkeit, vor allem jetzt, da sie sich in den Männerkleidern so seltsam und nicht wie sie selbst fühlte. Sich in einen Mann zu verwandeln, schien in ihr den Wunsch geweckt zu haben, eine Frau zu sein, obwohl sie sich als Frau so sehr gewünscht hatte, ein Mann zu werden. Vielleicht war sie nie wirklich zufrieden.
»Nun gut, machen wir uns fertig«, sagte Violet und stand auf.
Oben säuberte Violet ihr Gesicht mit kaltem Wasser aus dem Waschbecken und wusch sich die Hände mit einer Seife, die nach Pinien roch – von Pale Parfüm, wie sie feststellte. Vielleicht versorgte Drews Familie die Schule mit Seife. Sie entschied sich für den Anzug, den Ashton für ihren Besten hielt, und zog mit einem Schmerzenslaut die Bandagen um ihre Brust stramm, bis es wehtat. Sie schlüpfte in ein sauberes Hemd, zog den Anzug an und betrachtete sich im Spiegel. Es waren erst zwei Tage vergangen, und schon hätte sie am liebsten diese lächerliche Kleidung weggeworfen und gegen den Komfort eines Kleides eingetauscht. Sie sehnte sich danach, ihre langen Locken wieder im Nacken zu spüren. Sie wollte die Person im Spiegel erkennen können.
Sie reckte das Kinn und runzelte die Stirn. Nur zwei Tage! Sie musste härter werden, wenn sie sich bewähren wollte. Wenn sie ihren Plan aufgab, bevor sie Erfolg gehabt hatte, würde sie nicht nur sich selbst, sondern alle Frauen dieser Welt enttäuschen, wenn man es denn melodramatisch sehen wollte. Früher oder später würde die Wahrheit herauskommen; es lag an ihr, dafür zu sorgen, dass das erst später der Fall sein würde, wenn sie ihre Genialität so überzeugend bewiesen hatte, dass die Welt sie nicht mehr dafür bestrafen oder verachten konnte, wie es zwischen ihren Beinen aussah. Das war der einzige Weg, der Demütigung oder Schlimmerem zu entgehen. Sie schluckte, dachte an den Vortrag, den ihr Bruder ihr in der Kutsche gehalten hatte, und saugte an ihrer Lippe. Sie musste sich auf ihre Stärke besinnen, das wusste sie, nicht auf ihre Verletzlichkeit. Baute man bei einer Maschine auf die stärksten Teile – den festesten Kolben, den härtesten Stahl – hatte sie Bestand und funktionierte. Baute man auf eine zarte Feder, zerfiel sie in ihre Einzelteile. Sie musste zu einer Eisenstange werden.
»Bist du fertig, oder willst du dich noch länger im Spiegel bestaunen?«, fragte Jack. »Du gibst bestimmt einen hübschen Jungen ab, aber ich habe gedacht, dass dich die Sorte Mann, der man die Intelligenz an den Augen ablesen kann, mehr interessiert.«
Violet verschränkte die Arme und drehte sich um, um Jack anzustarren, der zurückgrinste. »Verdammter Arsch«, sagte sie.
»Langsam wirst du ziemlich gut, dich wie ein Gassenjunge auszudrücken«, lobte Jack, »und ich nehme mal an, dass ein Abend mit den Kumpeln in London deine Fertigkeiten noch verbessern wird. Gehen wir?«
Jack blickte zur Tür, Violet nickte, und die beiden verließen gemeinsam das Zimmer. Im Salon saßen einige Schüler, die sie jedoch nicht weiter beachteten, als sie Richtung Treppe und hinaus in die Eingangshalle gingen, in der sie vor ihren Bewerbungsgesprächen gewartet hatten. Drew und Toby waren bereits da, sie sahen nicht viel anders aus als vorher, rochen aber möglicherweise besser. Drew schien sich mit Lavendel begossen zu haben, und Violet fragte sich, ob er eine neue Version seines Parfüms an sich ausprobierte.
»Gut«, sagte Toby und ging zum Aufzug. »Gehen wir. Ich möchte meine Freundin nicht warten lassen.«
»Deine Freundin?«, fragte Jack.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Violet, als sie alle im Aufzug standen.
»Zu einem Geheimweg nach draußen. Den beachtet keiner. Gut, um hinaus und nach der Sperrstunde wieder hineinzukommen«, erklärte Toby.
»Deine Freundin?«, wiederholte Jack.
»Er meint nicht Cecily«, sagte Violet und verdrehte
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