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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Urteil mit dem Antrag angefochten wird. In diesem Fall also jenes bayrische Gericht, das den Krüger verurteilte. Nachgewiesen werden müsse, daß durch die Beeidigung seines Zeugnisses der Zeuge Ratzenberger sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht habe. Gemeinhin anerkennten aber die Gerichte in einem solchen Fall Meineid nur, wenn er erhärtet sei durch eine Verurteilung des fraglichen Zeugen. Der Zeuge Ratzenberger leider sei vor einer solchen Verurteilung gestorben. Ob die beiden Herren glaubten, der Herr Landesgerichtsdirektor Hartl werde, was sie ihm da mitteilten, selbst wenn sie es stützen könnten durch eine schriftliche eidesstattliche Versicherung der Witwe Ratzenberger, als hinreichenden Nachweis im Sinne des Gesetzes gelten lassen? Auf alle Fälle werde etliche Zeit verstreichen, bis das Material herbeigeschafft sei, um den Antrag juristisch genügend zu fundieren. Er überließ es Kaspar Pröckl, ob Martin und Johanna Krüger jetzt schon benachrichtigt werden sollten.
    Ludwig Ratzenberger hatte nach der Rauferei mit den beiden Kommunisten die Wohnung seiner Mutter endgültig verlassen. Die Witwe Crescentia blieb allein zurück mit ihrer leicht spinnerten Tochter, getröstet durch die Erscheinung des Seligen, der zwar immer noch innerhalb seiner Flammen auftauchte, doch nicht mehr barmend und winselnd, sondern fast schon mit einem Schmunzeln. Noch war sie nicht soweit, ihre mündliche Aussage schriftlich zu bestätigen, aber sie schlug es nicht einfach ab, sie vertröstete, stellte in Aussicht.
    Und das Geständnis des toten Ratzenberger zog Kreise. Kaspar Pröckl fuhr nach Odelsberg.
    Die Behandlung, die der Oberregierungsrat Förtsch dem Manne Krüger zuteil werden ließ, hatte mittlerweile sprunghaft gewechselt. Ohne daß irgendein Grund angegeben wurde, gewährte man ihm Vergünstigungen, die man ihmebenso unvermittelt wieder entzog. Bewirkt wurden diese Veränderungen durch die wechselnden Strömungen der politischen Lage. Die führende klerikale Partei des Landes hielt es aus gewissen Gründen für angebracht, sich mit den nationalistischen Parteien zu verbünden. Man liebäugelte, insbesondere der Minister Flaucher, mit jener extrem völkischen Partei des Monteurs, jetzt politischen Schriftstellers Rupert Kutzner, den Wahrhaft Deutschen. Da aber die zumeist sehr jungen führenden Leute dieser Partei zu großer Dreistigkeit neigten und, gab man ihnen einen Brocken, sogleich die ganze Schüssel verlangten, hielt man es, insbesondere der Minister Klenk, für angebracht, ihnen zeitweise wieder die kalte Schulter zu zeigen. Der Direktor der Strafanstalt, der Oberregierungsrat Förtsch, horchte gespannt auf jeden Windhauch aus dem Kabinett, und jede Schwankung machte sich im Strafvollzug an dem Manne Krüger spürbar. Er bekam die jeweilige Schattierung des Kabinetts zu merken an Kost, Schlaf, Gewährung und Entzug von frischer Luft, Besuchen, Schreibgelegenheit.
    Nachdem man ihn eine Zeitlang mit Leonhard Renkmaier zusammen in eine Zelle gesperrt hatte, brachte man ihn plötzlich wieder in Einzelhaft. Es war die Zelle, die er gut kannte, der weiße Kübel, das Heftchen mit den Tuberkulose-Merkblättern, der braune Fleck in dem eingeklebten Nachtrag über den progressiven Strafvollzug. Ganz unten am Fuß der Mauer, nur minutiöser Betrachtung sichtbar, hatte ein Gefangener, der in der Zwischenzeit Insasse der Zelle gewesen war, in der einen Ecke eine Zeichnung angebracht, mikroskopisch klein, zotig, in der andern Ecke eine Zeile aus einem Gebet.
    Martin Krüger betrachtete aufmerksam, denn er hatte viel Zeit, das Kruzifix, jene schematische Fabriknachahmung gewisser mittelalterlicher Darstellungen des Gekreuzigten aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Er verglich es mit dem »Crucifixus« des Malers Greiderer, lächelte. Gut war es, das Fabrikerzeugnis hier zu haben, nicht das Bild des Greiderer. Er saß auf dem Hocker, dann ging er eine halbe Stunde auf und ab. Man hatte ihm seltsamerweise – Vergünstigung? Strafe? –keine Arbeit gegeben. Seine Gedanken gingen langsam, gleichmäßig, ohne Auflehnung, befriedet.
    Als man ihm seine Schreiberei wiederbrachte, war er vollkommen glücklich. Er brauchte längst keine Reproduktion mehr des Bildes »Josef und seine Brüder«. Jedes winzigste Detail hatte er sich rekonstruiert. Nur eines einzigen Bruders Gesicht fehlte ihm, er hatte es als gutmütig, scheu und trotzig zugleich in Erinnerung, doch dies eine

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