Erfolg
hinüber zu Tüverlin und der Insarowa, die etwas verloren in diesem fremdartigen Tanze stand. Elegant und kräftig drehte und wirbelte der Maler Balthasar von Osternacher seine Tänzerin herum, die Tennisspielerin Fancy De Lucca. Viele Augen schauten dem berühmten Paar zu. Die Tennismeisterin sah in den Armen des schwarzsamtenen Granden doppelt fein, kühn und verderbt aus. Sie stellte eine Orchidee dar, eine nur in der Nacht blühende, wie sie versicherte, was aber allgemein bestritten wurde, und stolz, lustig, schamlos, manchmal kleine Schreie der Angst oder der Lust ausstoßend, reckte sich über dem tiefroten Kleid ihr geiernäsiger Kopf. Herr Hessreiter tanzte die Française mit Frau von Radolny, beide ziemlich schweigsam, etwas gravitätisch, abwesend und routiniert. Auch viele Fremde beteiligten sich an dem Tanz, darauf bedacht, die komplizierten Figuren richtig auszuführen, die Frauen hochschwingend, unbeholfen, aber mit Liebe. Grotesk, mit blasiertem Lächeln, standen in ihren Bardamenkostümen die Herren Erich Bornhaak und von Dellmaier. Es tanzte auch der Landesgerichtsdirektor Dr. Hartl, der ehrgeizige Richter,bekannt aus dem Prozeß Krüger. Er war vermögend, er pflegte das Wochenende in seiner Villa in Garmisch zu verbringen. In diesen Zeiten der Inflation, in denen es den festbesoldeten Beamten nicht gut ging, lud er sich Kollegen ein. Heute hatte er seine drei Gäste zum Ball der Nachtwandler mitgeschleppt. Alle die vier hohen Richter tanzten die Française mit; denn es war ein würdiger Tanz, erprobt aus den guten Zeiten der Monarchie. Der Dr. Prantl, vom Obersten Landesgericht, bemerkte bei jeder Reverenz, die er zu machen hatte: »Tages Arbeit, abends Gäste«, worauf sein Gegenüber erwiderte: »Saure Wochen, frohe Feste.« Der Landesgerichtsdirektor Dr. Hartl erzählte seiner Dame während des Tanzes, in diesen Zeiten der Auflösung müsse man bei aller Konzilianz streng sein. Sie vier hätten im Lauf der letzten Jahre zweitausenddreihundertachtundfünfzig Jahre Zuchthaus verhängt.
Fortissimo die Musik. Geschrei. Jauchzen der Nachtwandler . Verschütteter Wein. Kellner, die an verlassenen Tischen den Sekt in die Eiskübel leeren, um die Zeche zu erhöhen. Hitze, welkende Blumen. Geruch von Speisen, schwitzenden Männern, heißem Frauenfleisch, verlaufender Schminke. Wild arbeitende Musiker. Der Erfinder Druckseis, an allen Ecken und Enden seine Instrumente in Tätigkeit setzend. An einem Tisch, allein, ein Haserl auf dem Schoß, sich besaufend, vor sich hin schwatzend, grinsend, mit dem Fuß taktierend, der weinlaubgeschmückte Orpheus Greiderer.
Unvermittelt sah sich Tüverlin vor Johanna. Sie tanzte ihm schräg gegenüber, mit Pfisterer. Er versteckte nicht seine erfreute Überraschung. Seit jener Unterredung in der Konditorei »Alpenrose« hatte er kaum mehr Gelegenheit gehabt, Johanna zu sehen. Er hatte damals nicht recht begriffen, warum eigentlich sie gekränkt war. Er hatte wenig Interesse gezeigt für ihre dumme Audienz beim Kronprinzen, die sie so ungeheuerlich aufbauschte. Nun schön, er war mitten aus einem interessanten Gespräch gekommen, hatte mit ihr weiterreden wollen. War das ein zulänglicher Grund, einzuschnappen?Er hatte versucht, ihr mit Argumenten der Vernunft beizukommen. Allein Johanna, sonst bemüht um Gerechtigkeit, hatte sich geweigert, auf ein halbwegs sinnvolles Gespräch einzugehen. »Dann nicht«, hatte er sich gesagt, achselzuckend. Ihn beschäftigte die Auseinandersetzung mit dem Ingenieur Pröckl, seine literarischen Pläne, die Revue für Pfaundler, dazu die Ordnung seiner Finanzangelegenheiten; die Manipulationen seines Bruders drohten ihn um sein ganzes Erbteil zu bringen. Sein Leben war ausgefüllt.
Jetzt, wie ihm Johanna in der Française gegenüberstand, wie er sie den Vorschriften des Tanzes gemäß umfaßte, ihren Körper spürte, spürte er, wie sehr sie ihm gefehlt hatte. Er wird jetzt die alberne Geschichte bereinigen, die frühere Lage wiederherstellen. Ist er etwa ein Kavalier ? Soll man ihm Sinn für Würde und Repräsentation vorwerfen? Nein, er scheut es durchaus nicht, daß sie ihn noch einmal mit ihrem großkopfigsten Gesicht, die drei Furchen über der Nase, abfahren läßt. Er vernachlässigte seine russische Partnerin, dehnte alle Drehungen, die ihm der Tanz mit Johanna erlaubte, über Gebühr aus.
Die Française ging weiter. Man war an jenem letzten Teil, wo man sich, während die Musik leiser wird, in langer Kette unter den Armen
Weitere Kostenlose Bücher