Erfolg
daß, was er für sie empfand, mehr war als jenes rasche Begehren nach einer Frau, das ruhig und gemessen wurde, sowie er einmal mit der Begehrten geschlafen hatte.Er war nicht mehr jung, ein Leben ständigen Genießens hatte sein Gefühl lau gemacht, gleichmäßig lau, so daß er kaum noch gehofft hatte, jemals wirklich warm zu werden. Von Herzen bemühte er sich um sie, einfühlend, behutsam. Und sie, nach den scharfen, rücksichtslosen Reden Tüverlins, ließ sich seine weitschweifige Sorgfalt gern gefallen. Er war liebenswürdig mit Geschmack, auch auf eine etwas altmodische und skurrile Art lustig.
Ein tiefer Ärger gegen Katharina war in ihm wegen ihrer unverständlichen Bosheit gegen Johanna. Er spürte Fremdheit, Gegensatz stärker als je in den langen Jahren ihres Zusammenseins. Er stellte es an, daß er in ihrer Nähe vorbeikam, den Arm mit betonter Herzlichkeit um Johanna, mit unterstrichener Vertrautheit in sie hineinsprechend. Katharina sah es. Sah auch, daß diese Neigung Hessreiters keine Sache etwa nur des heutigen Abends war. Sie lächelte tiefer, thronend in ihrem idolhaften Prunk, sie lächelte bitter, fast befriedigt. Also auch Paul war von ihr abgefallen. Auch er, unbewußt gewiß, aber mit dem natürlichen Instinkt, sich von denen, die im Pech sind, fernzuhalten, verließ sie, nun ihre Rente bedroht war.
Zu Johanna und Hessreiter gesellten sich Fancy De Lucca und Pfisterer. Fancy De Lucca war satt und glücklich. Ihr Orchideenkostüm hatte die Wirkung getan, die es sollte. Sport, Training, die zahllosen Erfordernisse ihres Championats füllten sie ganz aus, ließen ihr wenig Muße, an ihre Fraulichkeit zu denken. Heute abend hatte sie ausgekostet, daß sie, wollte sie nur, als Frau wirken konnte. Ihre aufreizende, undefinierbar obszöne Blumenhaftigkeit tat Wirkung. Weitergehen wollte sie nicht; mehr war schädlich, sie durfte es sich nicht leisten.
Man zog sich zurück in die Mondlandschaft , in einen von Pfaundlers lauschigen Winkeln , denselben, in dem Johanna vorhin mit den beiden Windigen gesessen war. Der schwermütige, zu Johanna besonders zärtliche, aus dem Geleis geworfene Pfisterer, die satte, befriedigte Tennismeisterin, die langsam in der Atmosphäre Hessreiters sich aufruhende Johanna,der von Johannas Zutunlichkeit beglückte Hessreiter bildeten inmitten der immer wüsteren Nachtwandler eine stille Gruppe für sich. Die Mondlandschaft schien Johanna weniger albern. Sie sprachen nicht viel; es war ihnen angenehm, daß sie sich so zusammengefunden hatten.
Fancy De Lucca drehte mechanisch am Radioapparat. Es ergab sich, daß man soeben von irgendwoher die letzten Nachrichten übermittelte. Die Stimme im Apparat sprach von einer großen Konferenz, Parlamentsreden, einer Aussperrung, von einem Eisenbahnunglück; dann teilte sie mit, in der Sache Martin Krüger habe Rechtsanwalt Dr. Geyer das Wiederaufnahmeverfahren beantragt, sich stützend darauf, daß der Chauffeur Ratzenberger mehrmals vor Zeugen erklärt habe, seine Bekundungen im Meineidprozeß Krüger seien falsch gewesen. Dann erzählte die Stimme von einem Dammrutsch, von einem Flugzeugabsturz, von der bevorstehenden Erhöhung des Porto- und Eisenbahntarifs.
Johanna, als die Stimme vom Prozeß Krüger sprach, horchte hoch. Auch die andern. Sehr genau verstand keiner, was diese Meldung besagte. Aber wenn Dr. Geyer, der doch bisher so skeptisch war, jetzt diesen Antrag aller Welt so wichtig verkündete, dann mußte er aussichtsreich sein, dann war er ein Fortschritt, ein Erfolg, das sahen alle. Johanna rötete sich, strahlte, stand halb auf. Die Stimme im Apparat sprach noch immer, sie war jetzt bei Sportangelegenheiten, keiner hörte zu. Fancy De Lucca, mit einer jähen, herzlichen Gebärde, streckte Johanna die olivbraune Hand hin; Pfisterer, geradezu erlöst, brach aus: »Himmelsakra! Das ist doch endlich ein Erfolg!« Hessreiter bestätigte es wichtig. Johanna stand vollends auf. Das breite Gesicht erregt, stand sie zwischen dem wüsten und behaglichen Mondspuk des Malers Greiderer unter der Inschrift vom Mond und der königlich bayrischen Ruh. Sie nickte den andern zu, verließ stürmisch, das breite Gesicht erhellt, den kleinen Raum. Jetzt ist alles gut, jetzt hat sie Boden unter den Füßen. Alles hat sich verändert. Sie muß es Tüverlin sagen.
Allein der ist schon vor einiger Zeit weggegangen, in sein Hotel. Sich auskleidend, erwägt er, ob er nicht wieder in das kleine Haus oben am Walde ziehen soll.
Johanna
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