Erfolg
sachlichere Justiz würde die wirklichen Gründe nennen, aus denen ein Mann gesellschaftsschädlich, also zu beseitigen ist. Der Mann hat Kunstwerke in eine Sammlung des Volks gehängt, die dem Volk unangenehm sind; er muß also beseitigt, auch zur Abschreckung anderer bestraft werden. Aber warum – und das belastet die bayrische Gerechtigkeitspflege – statt wegen der guten Bilder, die er aufgehängt hat, wegen eines Beischlafs, den er nicht vollzogen, und wegen eines Meineids, den er nicht geschworen hat? Warum erklärt nicht klar und eindeutig der Justizminister: ›Du bist ein Schädling, du bist uns unangenehm, du mußt weg, du mußt ausgerottet oder zumindest abgesondert werden!‹«
Ein Schneider kam zur Anprobe des neuen Smokings, der Bote des Verlags wartete, der Lautsprecher schrillte und quäkte, ein Sporthaus rief an, die neuen Schneeschuhe seien angekommen.
»Natürlich trifft den Mann Krüger«, diktierte Tüverlin weiter, während der Schneider mit Nadeln und Kreide an seinen breiten Schultern und schmalen Hüften herumhantierte, »eine viel größere Schuld als die bayrische Regierung. Er als gebildeter Mann mußte wissen, daß er freventlich handelte, wenn er für das Bayern dieser Jahre gute Kunst kaufte. Ferner mußte er wissen, daß, dem Ausspruch eines wahrhaft Weisen zufolge, ein kluger Mann schleunigst über die Grenze flieht, wenn man ihn beschuldigt, das Louvre in die Tasche gesteckt zu haben: wieviel schleuniger, wenn ein bayrischesGericht ihn beschuldigt, vor mehreren Jahren einen Beischlaf vollzogen und dann abgestritten zu haben. Der Mann Krüger also soll nicht verteidigt werden. Wohl aber bleibt verwunderlich die komisch machiavellistische Methode der bayrischen Justizpflege. Zugegeben selbst, man konnte dem Manne Krüger nicht an, wenn man ihn wegen der wahren Gründe prozessierte: wäre es dann nicht angemessener, anständiger gewesen, ihn um solche Dinge zu verklagen, die in der Richtung des von ihm verübten Verbrechens lagen, also wegen eines Verstoßes gegen das Übliche? Wer aber wird im Ernst behaupten wollen, daß eine Frau zu beschlafen und es hinterher abzuschwören nicht landesüblich sei?«
Solche und ähnliche Grundlinien des zu schreibenden Essays legte der Schriftsteller Jacques Tüverlin fest, diktierend, auf und ab schlendernd, dem verzweifelten Schneider pantomimisch Weisungen gebend. Dann fertigte er den Boten ab, bestellte die Schneeschuhe, vereinbarte mit dem gekränkten Mädchen eine Zusammenkunft, schickte die Grundlinien des Essays an Johanna Krain.
Johanna wurde finster, als sie den Aufsatz las. Sie sagte sich nicht, daß der sachliche, klare Tüverlin, wäre ihm ähnliches zugestoßen wie dem Manne Krüger, die Hauptschuld in sich gesucht hätte. Sie begriff nicht, daß Tüverlin den Aufsatz geschrieben hatte, um seine komplizierte Anschauung zu klären, um sich vor ihr und vor sich selber zu salvieren. Der Essay war, fand sie, einfach eine zynische Verhöhnung ihres geraden, aufrichtig geführten Kampfes für eine gute Sache. Sie hatte sich für den andern Abend mit Tüverlin verabredet. Sie beschloß, nicht mit ihm zusammenzusein, ein für allemal mit ihm zu brechen. Das Hörrohr schon ausgehängt, um ihm dies mitzuteilen, beschloß sie anders: sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Den Vormittag darauf hatte sie eine Unterredung mit Geyer. Sie berichtete ihm von dem Abend bei Frau von Radolny, von ihrem Vorhaben, nach Garmisch zu gehen. »Gut«, sagte Dr. Geyer, »das ist ganz gut. Gesellschaftliche Beziehungen,wie ich Ihnen sagte. Mit ihren eigenen Mitteln muß man an die Leute heran, auflösen muß man sie. Sich mit ihnen herumbeißen nützt nichts, weil sie die stärkeren Zähne haben.« Es schien Johanna, als beschränke sich der Anwalt auf allgemeine Maximen, als interessiere ihn die Sache Krüger nicht mehr recht. Er saß da, hatte die Augen unter der Brille geschlossen. Johanna klemmte die Oberlippe zwischen die Zähne, ärgerte sich. Tüverlin, der Anwalt: ernsthaft schienen sich für Krüger nur die Armen im Geiste zu interessieren. Da plötzlich sagte Geyer: »Der Reichsjustizminister Heinrodt wird im Winter zwei Wochen nach Garmisch fahren, zur Erholung. Wenn ich ihm schreibe, wird er für Sie zu sprechen sein.« Er suchte sie mit seinem alten, gesammelten Blick zu packen; aber sie ließ sich nicht bluffen, sein Blick glitt ab.
Den andern Abend aß sie mit Jacques Tüverlin in Pfaundlers Restaurant. Er wunderte sich, als sie ihm den Essay
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