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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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hin wußte der Kaninchenmäulige nichts zu sagen. »Ab!« kommandierte er und schluckte. Der massige, schlappe, graubraune Rücken des Mannes Krüger schob sich langsam hinaus.
    Merkwürdig war, daß Nummer 2478 nach diesem Vorfall nicht bestraft wurde, ja, nach dem Kontrollbesuch eines höheren Beamten rückte Martin Krüger in Stufe II auf. Es schienen Einflüsse da, die den Strafvollzug in diesem Fall zu mildern suchten, wenngleich sie von rauheren Strömungen immer wieder gekreuzt wurden. Man wollte gehört haben, daß dem Justizminister an einem strengen Strafvollzug wenig gelegen sei, um so mehr dem freilich hierfür nicht zuständigen Kultusminister Dr. Flaucher. Aufmerksam spähte Zuchthausdirektor Förtsch nach solchen Winken, um sich den Herren im Kabinett gefällig zu erweisen, wie ein Hund während der Mahlzeit seines Herrn nach seinen Speisen und Bewegungen äugt, ob für ihn etwas abfällt.
    Auf Stufe II wurde dem Martin Krüger gestattet, sich beim täglichen Spaziergang mit einem Mitgefangenen zu unterhalten. Auch wurden ihm jetzt ziemlich oft Briefe ausgehändigt oder zumindest, mit Weglassung der für ungeeignet befundenen Stellen, bekanntgegeben. Der Oberregierungsrat Förtsch las ihm dann die Briefe vor, mit seiner staubigen Stimme, mit billig ironischem Tonfall, häufig stockend, da die Weglassungen oft mitten im Satz begannen. Einmal las er ihm einen Brief des Ingenieurs Kaspar Pröckl. Der junge Kaspar Pröckl schrieb: »Lieber Doktor Krüger, in meiner freien Zeit arbeite ich an dem Manuskript ›Kunst und Technik‹. Von dem Material, das Sie geschafft haben, kann ich viel verwenden. Halten Sie sich aufrecht. Sie haben noch viel unter Dach zu bringen. Ich glaube, Sie werden an meiner Arbeit Freude haben. Sowie es erlaubt ist, schicke ich Ihnen das Manuskript.« Da werde sich der Herr noch etwas gedulden müssen, warf der vorlesende Direktor gemütlich ein. »Dem ›Josef‹ bin ich auf der Spur.« Damit schloß der Direktor; denn das Weitere rieche zu sehr nach vereinbartem Rotwelsch, und dumm machen lasse er sich nicht. Martin Krüger bedankte sich mit seinem stillen, höflichen, den stichelhaarigen Direktor bis in die Nieren ärgernden Lächeln für die Vorlesung und verließ das Arbeitszimmer weniger schlaff als sonst.
    Es war ihm jetzt aus der Anstaltsbibliothek ein Band aus »Brehms Tierleben« zugewiesen worden. Er versenkte sich leidenschaftlich in diesen Band. Er las das Buch dreimal durch, genau, vom ersten bis zum letzten Wort, las von den Zügen der Lemminge, von der Kampflust und der Herdengründung der Wildesel, von der Einfalt der Elefanten. Als er das Buch abliefern sollte, bat er, man möge es ihm nicht nehmen, so dringend, daß man es ihm eine weitere Woche beließ. Am Tage, an dem er den Brief Kaspar Pröckls erhielt, las er von den Murmeltieren, von der Ausmusterung und Tötung der alten und kranken Tiere, die die Herde der Gesunden vornimmt, bevor sie ihren Winterbau beziehen. Er las, wie sie ihren Körper rüsten mit Fett und ihren Bau mit Erde, Steinen, Lehm, Gras und Heu, und wie sie dann die Frostzeit über liegen in todähnlicher Erstarrung, regungslos, kalt, dreißigmal weniger Kohlensäure ausatmend als im Sommer und also auch dreißigmal mehr Sauerstoff sparend, wartend in kluger Selbstnarkose auf die Zeit der Wärme.
    In dieser Nacht träumte der Mann Krüger, er sitze faulenzend nach schwerer und geglückter Arbeit in einem der hübschen Ledersessel seiner Bibliothek, schmökernd in einem leichten Moderoman. Da läutete das Telefon, und eine Stimme sagte zu ihm: »Nicht wahr, Sie sind doch der, der sich für das biblische Gemälde eines gewissen Landholzer interessiert?« Es war eine grobe, rustikale Stimme, die ihn das fragte, in geschraubtem Schriftdeutsch und im Ton eines predigenden bayrischen Landpfarrers. »Ja«, sagte der Mann Krüger eifrig, »gewiß, dafür interessiere ich mich brennend.« – »Da könnte ich …«, erwiderte die Stimme, aber da wurde die Verbindung getrennt. Sofort läutete Martin Krüger beim Amt an, von wo aus man ihn angerufen habe. Aber da wurde er grob angelassen, wenn er sich noch einmal eine so zynische Frechheit erlaube, werde er eine schwere Hausstrafe bekommen. Gleich darauf wurde er von neuem angerufen, die gleiche Stimme war im Apparat, sie sagte das nämliche, wurde an der nämlichen Stelle unterbrochen. Der Mann Krüger wagte nichtbeim Amt anzufragen; denn er sagte sich, er habe ja keinen Fahrschein, und er suchte

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