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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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mitgeteilt waren die Ministerialverordnungen über den »Progressiven Strafvollzug«. Bei guter Führung konnten die Gefangenen nach einer gewissen Frist in Stufe II eingereiht werden. Auf Stufe II wurde ihnen das Halten einer Zeitung gestattet, sogar das Sprechen auf dem Hof während des Spaziergangs konnte zugestanden werden.
    Besuche durfte Martin Krüger nur alle drei Monate empfangen. Es war eine besondere Vergünstigung, daß ihm der Besuch nichtverwandter Personen wie Johanna Krain und Kaspar Pröckl gestattet wurde, und er zählte gierig die Tage,bis er sie wiedersehen durfte. Fünfzehn Minuten durfte der Besuch bleiben, ein Gitter war zwischen ihm und dem Gefangenen.
    Briefe durfte Martin Krüger auf Stufe I alle acht Wochen, auf Stufe II alle vier Wochen schreiben und erhalten. Alle Briefe wurden zensuriert. Unzulässige Mitteilungen zogen schwere Hausstrafen nach sich. In vielen Fällen wurde dem Gefangenen nur Name und Wohnort des Absenders mitgeteilt, der Brief selbst, ohne daß der Gefangene seinen Inhalt erfuhr, zu den Akten gelegt.
    Einmal meldete sich Martin Krüger zum Rapport. Er stand auf dem Korridor, mit anderen Gefangenen, in einer Doppelreihe. Ein Beamter tastete ihn ab, ob er ein Instrument, Schlag- oder Stichwaffe bei sich trage. Er trat in das Zimmer des Direktors, nannte vorschriftsmäßig seinen Namen und seine Nummer. »Was wollen Sie?« fragte der Direktor, ein kleiner, beweglicher Mann, bezwickert, mit einem vertrockneten, vielschnuppernden Gesicht und einem stichelhaarigen Schnurrbärtchen. Er hieß Förtsch, war Oberregierungsrat, Gehaltsklasse XII, und in einem Alter, daß er nur mehr ganz wenige Jahre für seine Karriere vor sich hatte. Im Lauf dieser wenigen Jahre mußte sich entscheiden, ob er es noch zu etwas bringen wird. Er träumte davon, Ministerialrat zu werden, in die höchste Besoldungsgruppe, die Gruppe XIII, aufzurücken und dann vielleicht mit dem Titel eines Ministerialdirektors pensioniert zu werden. Von dem Gehalt eines Ministerialdirektors, einem Einzelgehalt , hinausgehend über alle Besoldungsgruppen, wagte er schon nicht mehr zu träumen. Zu bleiben aber, was er war, Oberregierungsrat zu bleiben, bedeutete ihm ein Ende, ruhmlos, in Versauerung. Sein Leben war nicht lebenswert gewesen, blieb er Oberregierungsrat. Er ersehnte also Karriere, wartete gieriger mit jedem Tag, schielte nach einer Gelegenheit, sich hervorzutun, immer auf der Lauer. Sein Mund war in unablässiger Bewegung, die einzelnen Härchen ringsherum zitterten und zuckten mit, was dem ganzen Mann etwas Kaninchenhaftes gab.
    »Was wollen Sie?« fragte er also; er war neugierig, mißtrauisch, zur Abwehr geneigt, diesem Burschen Nummer 2478, diesem famosen Krüger gegenüber besonders. Martin Krüger wollte, daß man ihm gestatte, sich Bücher kommen zu lassen. »Die Bücher der Anstaltsbibliothek genügen Ihnen wohl nicht?« fragte der Direktor. Der Mund mit den Stichelhärchen zuckte, die aus der kleinen Nase herausgewachsenen Härchen zuckten belustigt mit. Der Direktor war schlau. Seine Pensionäre wandten viele Schliche und Listen an, das war natürlich, aber er war immer noch einen Grad listiger. Er glaubte nicht an den Wissensdurst seines Strafgefangenen. Die Sendung von Büchern war oft dazu benutzt worden, verbotene Mitteilungen ein- oder hinauszuschmuggeln. Man mußte die Bücher genau durchprüfen, ob nicht in den Einband oder zwischen zwei zusammengeklebte Seiten ein Kassiber hineinpraktiziert worden war. Das machte viel Arbeit. »Haben Sie sonst noch Wünsche?« fragte er; er liebte es, sarkastische, joviale Witze mit seinen Pensionären zu machen. »Mehrere«, erwiderte Martin Krüger. »Sagen Sie einmal, mein Junge«, fragte der Oberregierungsrat gemütlich, »haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie hier als Strafgefangener oder als Privatgelehrter eingestellt sind?« Es grenze an Zynismus, meinte er, wenn ein Gefangener schon auf Stufe I zu einer solchen Bitte sich erdreiste. Er müsse sich überlegen, ob er nicht eine solche Frechheit werde bestrafen müssen. Ob sich der Herr Dr. Krüger klargemacht habe, daß dann Bewährungsfrist für den Rest seines Pensums ein für allemal ausgeschlossen sei?
    Höflich korrigierend, trotz der mehrmaligen Rüge provokatorisch lächelnd, erwiderte Martin Krüger: »Ich rechne nicht auf Bewährungsfrist, mein Herr, ich rechne auf Freispruch und Wiederherstellung.«
    Auf diese unverständlich frechen Worte, besonders auf dieses mein Herr

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