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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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verübelte. »Es ist selbstverständlich, daß ich Ihnen helfe«, erklärte er in seinem quäkenden, saloppen Ton. »Aber das schließt doch nicht aus, daß ich ausspreche, was ist. Es kann doch nur förderlich sein, wenn man klarsieht. Ich habe übrigens unlängst Gelegenheit gehabt, den Minister Klenk kennenzulernen. Ein ungewöhnlich sympathischer Mann.« – »Er vertritt die schlechteste Sache der Welt«, sagte mit weißen Lippen, den zornigen Blick auf ihm, Johanna. »Und?« fragte Jacques Tüverlin zurück. »Mancher gute Mann vertritt eine schlechte Sache.«
    »Ich habe Ihre Aphorismen satt«, sagte Johanna und warf die Serviette auf den Tisch. Ihre stumpfe Nase zitterte. Was für dünne, lebendige Flügel eine stumpfe Nase haben konnte. Die ganze Frau gefiel Tüverlin ausnehmend. »Man greift in lauter Glassplitter«, fuhr sie fort, »wenn Sie reden. Sie sind schlechter als die bayrischen Gerichte.« Sie stand auf, ohne fertiggegessen zu haben. Jacques Tüverlin, gleichfalls aufstehend, fragte, wann er sie wiedersehen werde. »Ich fahre auf einige Wochen nach Garmisch«, sagte Johanna. »Das trifft sich ausgezeichnet«, sagte Jacques Tüverlin. »Ich hatte sowiesodie Absicht, auch bald nach Garmisch zu gehen.« Er begleitete sie bis zum Ausgang des Restaurants, kehrte dann an seinen Tisch zurück, aß zu Ende.
9
Ein graubrauner Bräutigam
    Über dem Arbeitstisch des Strafgefangenen Martin Krüger hing ein Wandkalender, darüber ein Kruzifix, eine schematische Fabriknachahmung gewisser mitteldeutscher Darstellungen des Gekreuzigten aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Vor dem Tisch auf einem Hocker saß Martin Krüger den größten Teil des Tages, graugesichtig, mit Händen, die von dem ewigen Wegwaschen des Kleisters rissig geworden waren. Zugeschnittenes Papier, Kleistertopf, Pinsel, ein Falzholz, eine Schablone zum Umbrechen der Böden. Der Mann Krüger saß da vom Morgen bis zur Mittagspause, dann bis zur Stunde des Spaziergangs, dann bis zum Abend. Er strich Kleister auf, klebte Futter an, falzte das Ganze zur Hülse, kleisterte, klebte nochmals, brach den Boden um, kleisterte die Tüte fertig.
    Sah er auf, so erblickte er in einer Höhe von zwei Metern über dem Steinfußboden das sehr kleine Fenster, dahinter fünf senkrechte, zwei waagerechte Stäbe. Unter dem Fenster auf einem Wandbrett einige Emailgefäße, Waschschüssel, Seifenbehälter, Krug, Becher. Ab und zu wohl stand er auf, schritt den kleinen Raum auf und ab, vier Meter Länge waren es, zwei Meter Breite. Zwei Eisenriegel und ein sehr festes Schloß sperrten die starke Eichentür. Die kahlen Wände waren mattgrün gestrichen, der obere Teil geweißt. Er kannte jeden kleinsten Pinselstrich der Tünche, die beiden Stellen, an denen Nägel wieder ausgezogen waren, und sehr genau die fünf Stellen, wo früherer Nageleinschlag übertüncht war. An der Seite des Wandbretts, auf kleinem, weiß überzogenem Pappkarton, las er: »Martin Krüger, Grundbuchnummer 2478,drei Jahre.« Auch das Datum des Strafbeginns stand da und des Strafendes und außerdem: »Meineid § 153.« Ein weißer Kübel für die Notdurft war da, und, wunderlicherweise, ein Thermometer. Zum Schreiben eine Schiefertafel und ein Griffel. Papier und Tinte blieb ihm vorläufig versagt.
    Immer wieder durchblätterte er die vier Broschüren, die an durchlochten Ecken mit Bindfaden in einer Ecke aufgehängt waren. Ein Heftchen mit Alkohol- und Tuberkulose-Merkblättern, eines über die Hinterbliebenen- und Invalidenversicherung, ein während der Inflation doppelt seltsames Büchlein »Sparmerkblätter« und ein schwarz eingebundenes Heft »Vorschriften für Gefangene«.
    Längst wußte er, was verboten war, er wußte, daß im zweiten Absatz der »Hausstrafen« eine Type ausgefallen war und daß ein großer, brauner Fleck war in dem eingeklebten Nachtrag über den »Progressiven Strafvollzug«. Jeden Buchstaben wußte er auswendig mit der Faserung des Papiers, auf dem er stand. Aber wieder und wieder las er die nüchternen Regeln für die Gefangenen. Verboten war es, aus dem Fenster zu schauen. Verständigung mit andern Gefangenen durch Sprechen, Schreiben oder Zeichengeben war verboten, verboten Tauschhandel, gegenseitiges Annehmen oder Geben von Geschenken. Verboten war es, die Aufseher anzusprechen. Singen, Pfeifen, sonstige Erzeugung von Lärm war verboten. Hausstrafen waren angedroht gegen jeden Verstoß: Kostabzug, Nachtlagerentzug, Arrest im Eisenkäfig, Dunkelarrest.
    Im Anhang

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