Erfolg
ängstlich in allen Taschen nach dem Fahrschein, aber er fand ihn nicht. Eigentlich, sagte er sich, sei es seine Pflicht, sich trotzdem beim Amt zu erkundigen; aber er wagte es nicht. Er wurde noch ein drittes Mal angeläutet. Und an der gleichen Stelle unterbrochen.
Wenige Tage später wurde er wieder zum Rapport geholt. Das Gesicht des kleinen Direktors zerknitterte sich in tausend sarkastische Fältchen, die Haare um den Mund und auch die aus der Nase zuckten Ironie, als er sich anschickte, ihm den Brief zu verlesen. »Ich gratuliere Ihnen, Nummer 2478«, sagte er zur Einleitung. »Sie bekommen einen Antrag.« Gegen die Gewohnheit dann teilte er ihm nicht zuvor den Absender mit, sondern begann sogleich zu lesen. »Lieber Martin, ich halte es für angebracht, unser altes Projekt zur Ausführung zu bringen und unsere Beziehungen durch eine Eheschließung zu legitimieren. Juristische Berater informieren mich, daß dem auch unter den gegenwärtigen Umständen nichts im Wege steht.« Der Kaninchenbärtige konnte nicht umhin, vor »gegenwärtigen Umständen« eine kleine, spaßhafte Pause einzulegen. »Ich werde die nötigen vorbereitenden Schritte bestens erledigen.« Der Strafgefangene, dem sein gewohntes provokatorisches Lächeln schon bei Beginn der Vorlesung abhanden gekommen war, zuckte bei diesem letzten Wort auffallend zusammen. »Bei unserer nächsten Zusammenkunft hoffe ich, Dir Abschließendes mitteilen zu können.« – »Die Unterschrift brauche ich Ihnen wohl nicht vorzulesen, Nummer 2478«, fügte der Direktor schalkhaft hinzu. »Im übrigen hat die Dame recht. Wir haben schon mehrere Eheschließungen unter diesen Umständen gehabt. Ich gratuliere Ihnen. Es ist auch ein Paket für Sie eingelaufen. Da Sie jetzt Bräutigam sind, will ich es Ihnen trotz gewisser Bedenken, die mit Ihrer Führung zusammenhängen, aushändigen lassen.«
Der Mann Krüger zitterte stark und riß sich die Worte saftlos aus der Kehle. »Ich danke«, sagte er. Und: »Könnteich den Brief einmal sehen?« – »Wenn Sie glauben, ich habe ihn gefälscht«, sagte ironisch der Direktor. »Da«, sagte er und warf ihm den Brief hin. Er war mit der Schreibmaschine geschrieben, er sah kaufmännisch aus, unpersönlich, verrenkt und schwunglos wie der Stil, in dem Johanna Krain zu ihm sprach.
Die folgenden Tage waren nicht gut für Martin Krüger. In seiner nackten Zelle stand bunt seine frühere Zeit. Mit festen Beinen, hell, kräftig, mit breitem, kühnem Gesicht Johanna Krain, dann südliche, starkfarbige Landschaft, dann die großen, weißen Bogen seines Manuskriptpapiers, sich bedeckend mit raschen Schriftzeichen, davon aufsteigend der leicht giftige Hauch glänzender, nicht ganz ehrlicher Arbeit. Dies stand beunruhigend in seiner Zelle, nicht mehr da waren »Josef und seine Brüder«. Das farbige Genebel verwirrte seinen Schlaf, machte seine Hände zittern, während er kleisterte.
Am nächsten Termin, zu dem er schreiben durfte, ging ein Brief von ihm zu Johanna Krain. Er danke ihr, er wolle es sich überlegen, es sei bestimmt nicht gut für sie, und für ihn wahrscheinlich auch nicht. Ein Krampfbruder, dachte der Direktor, während er zensurierend den Brief überlas. Vielleicht ist auch alles mit ihr abgekartet, dachte er. Aber mich werden sie nicht hereinlegen.
10
Ein Brief im Schnee
Johanna lag im Schnee, ausruhend, angenehm gedankenlos, in schweren, niedrigen Stiefeln, nach der Mode der Zeit männerartig vermummt in den langen Hosen des Skianzugs. Nur wenige Minuten wollte sie rasten. Sie schnallte die Schneeschuhe nicht ab; im Winkel zu dem dunkelblau gekleideten Körper standen die Hölzer.
Sie war jetzt acht Tage in Garmisch. Herr Pfaundler hatterecht gehabt, dieser Ort war heuer ein Treffpunkt von Großkopfigen aus aller Welt. Aber von den Leuten aus dem Kreise der Frau von Radolny, von denen sie sich besonders viel versprach, war noch niemand da. Es kümmerte sie wenig, daß sie warten mußte. Sie war von Kind auf viel in den Bergen gewesen, hatte Freude am Skilaufen.
In der Tasche ihres Anzugs spürte sie etwas knittern. Ein Brief, ihr eingehändigt, unmittelbar bevor sie in den Zug hinauf zum Hocheck stieg. Sie hatte den Brief, der den Stempel von Odelsberg trug, der Poststation des Zuchthauses, ungelesen eingesteckt. Es war merkwürdig, daß sie die ganze Zeit nicht an den Brief gedacht hatte.
Aber jetzt will sie ihn lesen. Das Geschrei dort drüben stört sie. Das sind Anfänger, die üben mit einem Skilehrer. Sie
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