Erfolg
wird zum Tal fahren, vor diesen. Unterwegs, wenige Minuten weiter unten, hat sie Ruhe.
Sie glitt hinein in das weite Gelände. Ein Stück Wald kam, man konnte ihn umfahren. Sie klemmte die Oberlippe ein, wählte den Weg durch das kürzere, schwierigere Terrain. Mühsam zwischen Bäumen arbeitete sie sich durch, plagte sich ab. Als der Wald durchkreuzt war, warf sie sich mit den Skiern in den Schnee: jetzt hatte sie das schönste Stück des Weges vor sich, lange, weich fallende Bahn. Entspannt, mit einem etwas leeren Lächeln, lag sie, ruhte, atmete, in glücklicher Müdigkeit. Riß sich zusammen. Jetzt wird sie den Brief lesen. Er mußte die Antwort sein auf ihren Vorschlag, zu heiraten.
Sie griff in die Tasche, konnte das Papier nicht greifen. Zog den Handschuh ab, packte nochmals zu. Das Schreiben war nicht da, sie hatte es verloren. Es war nicht angenehm, daß jetzt Martin Krügers Brief irgendwo im Schnee lag. Sicherlich hat sie ihn im Wald verloren. Sie muß ihn suchen. Es war Aussicht, ihn auf ihrer Spur zu finden. Freilich, der Nachmittag ist vorgerückt, die Sonne steht ganz unten, in kurzer Zeit wird es stark nebeln. Martin Krüger darf nicht oft schreiben. Es ist ein Ereignis für ihn, wenn er schreiben darf.
Aus dem Wald arbeitete sich etwas heraus. Ein Mann, schwer, doch nicht unelegant, milchkaffeefarben vermummt. Er kam näher, schaute sie an, aus schleierigen Augen, vergnügt, zog den dicken, wollenen, mit Schnee behängten Handschuh ab, streckte ihr die Hand hin, sagte: »Guten Tag.«
Ja, Paul Hessreiter war also doch früher gekommen, als er vorgehabt hatte. Es war wahrscheinlich leichtsinnig von ihm, seine keramische Fabrik im Stich zu lassen in diesen Zeiten der Geldaufblähung, wo man von Stunde zu Stunde darauf spannen mußte, wie Einkaufs- und Verkaufspreise sich änderten. Aber das war jetzt Wurst. Nachdem sie schon acht Tage hier war, wollte er nicht mehr Zeit verstreichen lassen. Er hatte im Hotel gehört, daß sie aufs Hocheck gefahren war, hatte hinauftelefoniert, war, als er sie nicht erreicht hatte, einfach heraufgefahren. War er nicht ein Mordskerl, daß er mit sicherer Nase den Weg durch den Wald genommen hatte?
Der kaffeebraun vermummte Mann war vergnügt wie ein kleiner Junge, schwatzte drauflos. Also, eine ganze Bande sei mit ihm im Zug gewesen, der Pfaundler, der Maler Greiderer, auch der Reindl, der Fünfte Evangelist. Ein fader Kerl übrigens, ein zuwiderer, fügte er etwas säuerlich hinzu. In einigen Tagen wird auch Frau von Radolny kommen. Ob sie den Justizminister Heinrodt schon gesprochen habe? Nun, das werde der Dr. Geyer schon managen. Sie müsse so bald wie möglich mit ihm in »Die Puderdose«, Pfaundlers neues Etablissement. In zwei, drei Tagen werde man hier aufgefressen vor lauter Bekannten. Es sei fein, daß man das ganze Stück da vor ihnen jetzt Schuß fahren könne. Er sei heuer erst ganze dreimal auf Schneebrettern gestanden. Man komme zu nichts, wegen dieser damischen Inflation. Der Dollar stehe heute 193,50. Übrigens habe es sich gelohnt, daß er ihrer Spur nachgefahren sei. Er habe etwas gefunden. Den einen Ski gekantet, höflich, mit schneebedecktem Handschuh, überreichte ihr der fleischige, vergnügte Mann den Brief aus Odelsberg.
Johanna nahm den Brief, dankte. Riß ihn auf. Las. DreiFurchen in der Stirn, mit finsteren, grauen Augen zerriß sie das Schreiben des Mannes Krüger. Die hundert Fetzchen flatterten, sahen schmutzig und störend aus in dem weiten, blanken Schnee.
»Fahren wir«, sagte Johanna.
Später, im Bad, den Druck der harten, heißen Kleider wegspülend, überlegte sie, was der Mann Krüger geschrieben hatte, Wendung um Wendung. Wie er sich zierte, wie er sich die Dinge aufnötigen ließ, nach denen er doch hungrig war. Sie hatte geglaubt, in der Zelle werde er das Getue lassen. Derweil schrieb er solche Briefe. Jetzt lag sein Brief im Schnee in hundert ekelhaften Fetzen.
Es war leicht, hier in dem bequemen Hotelzimmer in Garmisch einen Brief zu kritisieren, der in Odelsberg geschrieben war vor sechs eingemauerten Bäumen. Man selber pflegte sich, aß gut, genoß Schnee, Sonne, man konnte leicht Forderungen stellen an den Mann mit dem grauen Gesicht.
Sie saß im Bademantel vor dem Toilettentisch, an ihren Nägeln feilend, polierend. Man sah noch, daß sie wenig gepflegt gewesen waren, grob von Form, aber bald werden sie milchig schimmern und mondförmig sein.
Die Tante, während des Essens, berichtete Johanna mit starker Stimme
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