Erfolg
Todesnachricht. Sie wischte ungestüm das Blatt herunter.
Sie hatte Gefallen gefunden an Fancy De Lucca, diese an ihr, und sie hatten, die geiernäsige Frau und sie, Einblick ineinander getan. Andere, die den rastlosen Betrieb um die De Lucca gekannt hatten, die um ihre schwere Mühsal wußten, die nötige Vitalität für die Behauptung der Meisterschaft immer neu anzukurbeln, mochten sich sagen, sie sei zur rechten Zeit abgegangen, im Besitz des Titels noch, vor unvermeidlichen Enttäuschungen: Johanna wußte besser, daß Fancy De Lucca enttäuscht war schon mitten im Sieg. Sie erinnertesich, wie Fancy ihr von ihrem Entschluß erzählt hatte, abzutreten; nüchtern hatte sie davon erzählt, ohne Gewese und Gezier, beiläufig, als handle es sich um einen nicht wichtigen Reiseplan. Damals hatte sie die Freundin sehr geliebt; aber verstanden hatte sie ihren Entschluß nicht.
In leerer, großer Müdigkeit sehnte sie sich nach einem Menschenwort, nach Rede und Gegenrede. Scheußlich, wie sehr man allein war. Wenn sie jetzt Martin Krüger dahätte. Auf einmal wieder wurde ihre Erinnerung klar und herzhaft. Aber ihm so unumwunden und vertraut schreiben, wie es ihr zu Sinn war, durfte sie nicht, und seine Antwort erhielt sie nach drei Wochen, wer weiß in welch eingetrocknetem Gefühl. Von Jacques Tüverlin war sie zehn Minuten entfernt oder noch weniger. Es war Unsinn, Eigensinn, daß sie ihn nicht wissen ließ um ihre Gegenwart. Sie telefonierte. An den Apparat kam Tüverlins Sekretärin, erklärte, vor fünf Minuten sei Herr Tüverlin weggegangen, fragte, wer am Apparat sei, ob sie etwas bestellen solle. Aber Johanna nannte ihren Namen nicht.
Es wurde ein rettungslos öder Vormittag. Sie war zu träge, sich ordentlich anzuziehen, zu träge, geordnet zu denken. Sie versuchte zu arbeiten, es ging nicht.
Unerwarteter Besuch kam, eine fette, lebhafte Frau: ihre Mutter, Frau Elisabeth Krain-Lederer. Die alternde Dame schnupperte herum, lauersam, betrachtete mit abschätzigen, beredten Blicken das schlecht aufgeräumte Zimmer, den morgendlich verwahrlosten, schlawinerischen Aufzug der Tochter. Sie war seit Jahren das erstemal bei Johanna und kam in großherziger Absicht. Veranlaßt durch einen Film, hatte sie beschlossen, sich mit ihr zu versöhnen. Drei Tage lang, Nachmittag für Nachmittag hatte sie, viel Kaffee trinkend, ihren Freundinnen von diesem Entschluß erzählt. Nun also saß sie in der Steinsdorfstraße, in der Wohnung der Tochter, zielbewußt, imponierend mit ihrem entschiedenen Gewese, ihrer Überzeugtheit, ihrem gegen den Hals gedrückten Doppelkinn. Aus rundem, kleinzahnigem Mundschwatzte sie resolut auf die Tochter ein. Die, ab und zu den Schlafanzug fester um den Körper ziehend, nach dem Haar langend, damit es nicht falle, fragte sich, was wohl in Haltung und in Sprache sie von der Mutter habe. Sie wußte, daß die Energie der Mutter Maske war, daß eine kleinliche, lamentierende, ichbefangene Frau dahinterstak, ihr Leben lang gewohnt, andere für sich sorgen zu lassen. Ohne Antipathie, mit fast naturwissenschaftlichem Interesse ließ Johanna Krain ihre grauen Augen über Gesicht und Gestalt ihrer Mutter gehen. War ein Band, war Zusammenhang zwischen ihnen beiden? Mit kalter Neugier studierte sie die schwatzende, füllige Frau. Nahm, zum erstenmal mit Wissen, wahr, wie sie eine Hand leicht auf den Schenkel stützte, wie sie, wenn sie den andern ins Auge faßte, den ganzen Kopf mitdrehte. Ja, sie, Johanna, hat die gleichen Gesten. Sicherlich hat sie noch viel anderes mit ihr gemein, zu viel. Sicherlich wird sie mit zunehmendem Alter ihr immer ähnlicher. Einmal dann, in zwanzig oder dreißig Jahren, wird sie genauso dasitzen, lauersam, mit etwas falscher Resolutheit, imponierend, mit Doppelkinn.
Uferlos, während sie dies dachte, schwemmten die Sätze der Mutter über sie hin, lamentierend, aggressiv, bittend, plappernd von Familiensinn, Schande, Herzensbildung. Wie lebe sie eigentlich? Verwahrlost, ohne zureichende Bedienung. Scheiden lassen solle sie sich, einen anständigen Mann heiraten. Oder, wenn sie schon mit einem Mann wie Hessreiter zusammensei, dann müsse sie es wenigstens so weit bringen, daß er ordentlich für sie sorge. Und wie sie herumlaufe, immer noch mit langen Haaren. Zehn Jahre älter mache sie das. Es sei dringend nötig, daß ein ernsthafter Mensch sich um sie kümmere. Sie sei alt, erfahren, friedfertig. Wolle Johanna helfen.
Johannas Unbehagen, während die Frau endlos redete,
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