Erfolg
stieg. Sie schämte sich für sie und für sich selbst. Es war unangenehm, immerzu in das selbstsichere, breite Gesicht der Frau zu schauen, sie wußte nicht recht, wohin sie mit denAugen sollte, senkte ein wenig die Lider. Sie hatte plötzlich ein starkes Bedürfnis nach Stille, spürte deutlich die gleiche Antipathie wie vor Wasserfällen. Unvermittelt, sachlich erklärte sie: schön, wenn ihre Mutter also wolle, dann werde sie gelegentlich zu Besuch kommen. Sie dachte nun, die Frau werde gehen. Aber Frau Lederer war gekränkt, daß ihre Gutheit so ungenügend gewertet wurde. Sie hatte als Bewohnerin der bayrischen Hochebene Neigung zu theatralischer Aufmachung; es wurmte sie, daß dieser Besuch so nüchtern verlief, ganz anders als die Filmszene, die sie auf die Idee der Aussöhnung gebracht hatte. Es dauerte noch eine gute Weile, ehe Johanna sie los war.
Die Frau gegangen, saß sie erschöpft, nicht einmal zornig. Kein menschliches Gesicht war, an das man menschliche Worte hinreden konnte. Nun ist also auch Fancy De Lucca fort. Jacques Tüverlin, wenn ihm an ihr lag, hätte spüren müssen, wie sehr sie ihn jetzt brauchte.
Es war ihr willkommen, daß das Telefon läutete, sie herausriß aus ihrem flauen Gegrübel. Erich Bornhaaks Stimme war im Apparat. Er erinnerte sie, daß sie ihm in Paris versprochen habe, er dürfe ihr eine Maske abnehmen. Er sei jetzt auf mehrere Wochen in der Stadt. Wenn sie kommen wolle? Johanna hatte seit langem damit gerechnet, ihn zu treffen, hatte sich vorgenommen, kalt zu bleiben, ihn ein für allemal abzulehnen. Nichts war an ihm, er war hohl, ein Niemand. Selbstbeschwindelt hatte sie sich, wenn sie sich einredete, bei ihm auf Grund zu stoßen. Allein jetzt, bei seinem ersten Wort im Apparat, wußte sie, daß sie sich auch ihre Entschlossenheit nur vorgespielt hatte. Sie ließ ihn weiterreden, genoß seine Stimme, trotzdem sie durch den Apparat verzerrt war. Ihre Augen, ohne zu sehen, waren auf dem Zeitungsblatt mit der Nachricht vom Tod Fancy De Luccas, ihr Herz und alle ihre Sinne bei der Stimme im Apparat.
Als Erich Bornhaak zu Ende war, erklärte sie ohne Ziererei und Widerstreben, sie werde am Nachmittag zu ihm kommen.
Jetzt war es also entschieden. Fast war sie froh. Sie summte zwischen Lippen und Zähnen, roch in der Erinnerung den leisen Geruch von Heu und Leder. Ging dann, ohne weiteres Überlegen, als hätte sie sich diese Stunde längst dazu vorbestimmt, zum Friseur. Daß es extravagant war, wenn sie gegen die Mode ihre langen Haare beibehielt, darin hatte ihre Mutter sicher recht. Auch Erich hatte sich über diesen altväterischen Eigensinn lustig gemacht. Sie saß in dem hellen Frisiersalon zwischen Nickelhähnen, Instrumenten, weißen Waschbecken, zwischen beweglich gleitenden Arbeitsmänteln mit höflichen Männern und Mädchen darin. Das kalte Eisen der Maschine, der Schere spielte um ihren Kopf, man brachte ihr Spiegel, damit sie sich von allen Seiten betrachten könne. Dunkelbraune Haare fielen auf das weiße Tuch, das man ihr umgelegt hatte. Sie fühlte den Kopf kühl und leichter werden.
Sie dachte an zahllose Gespräche über Sexualfragen, die vor ihr und mit ihr geführt worden waren; denn jene Zeit liebte es, solche Fragen vielwortig zu bereden. Sie dachte auch ganz flüchtig an ein Erlebnis, das sie vor vielen Jahren gehabt hatte, als Kind, und das selten nur, finster, schreckhaft, undeutlich in ihr heraufnebelte. Auch an einen Satz Jacques Tüverlins dachte sie: trinken ohne Durst, dichten ohne Stimmung, mit einer Frau schlafen ohne Herzlichkeit, das seien die drei häufigsten Untugenden des Jahrzehnts. So in ihren Gedanken saß sie, daß sie aufsah, als man sie fragte, ob sie auch manikürt sein wolle. Nein, das wollte sie nicht. Die Haut ihrer Hände war jetzt wieder großporig, etwas derb, die Fingernägel viereckig, so paßte es ihr.
Ohne Gefühlsverbrämung, gierig, ohne Geheimnis, ohne Glück ging Johanna zu Erich Bornhaak. Sie ging durch die Seestraße, vorbei an dem Hause Paul Hessreiters, ohne mit dem kleinsten Gedanken an den Mann Hessreiter zu denken.
Erich Bornhaak hatte eine hübsche Atelierwohnung in Schwabing. Es war unklar, wie er es zuwege gebracht hatte, indiesen Zeiten bitterer Wohnungsnot so behagliche Unterkunft zu finden. Die Hundemasken hingen herum, ein paar gute, lüsterne Bilder, eine signierte Photographie des Generals Vesemann, frech zwischen die Maske eines Windhunds und einer Bulldogge gehängt, ein Bild Rupert Kutzners
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