Erfolg
zusammenphantasiert. Das Leben war einfach; es war ihre Schuld, wenn sie es komplizierte. Sie mochte diesen Knaben Erich Bornhaak, und er mochte sie. Er war ein hübscher Junge, von raschem, beweglichem Geist, die Erlebnisse des Krieges hatten ihn erfahren gemacht. Sie spürte jetzt große, hemmungslose Zärtlichkeit für ihn.
Von Dellmaier drängte, man solle noch in den »Gaisgarten« gehen; dort warte der junge Ludwig Ratzenberger. Es sei amüsant im »Gaisgarten« bei den Patrioten. Johanna müsse sich den Betrieb einmal aus der Nähe anschauen, der junge Ratzenberger sei verdammt schnieke. Aber Johanna sehnte sich, mit Erich allein zu sein. Erklärte, sie sei müde. Von Dellmaier war ihr tief zuwider. Wie sie sich als Kind gesehnt hatte nach gewissen ordinären Süßigkeiten, hergestellt aus Zucker und Gummi, die ihr als gesundheitsschädlich verboten waren, sogenannten Gummischlangen , so mit der gleichen Gier sehnte sie sich jetzt nach dem windigen Erich Bornhaak. Der erklärte schließlich: gut, er werde Johanna nach Hause bringen und dann zu Dellmaier und Ratzenberger in den »Gaisgarten« nachkommen.
Johanna und der Junge waren schweigsam auf dem Nachhauseweg, und es bedurfte nur weniger Worte Erich Bornhaaks, bis sie ihn mit hinaufnahm.
Sie stöhnte befreit, als er bei ihr lag; sie hatte lange gewußt, daß es so kommen mußte. Sie genoß ihn mit Gier und ohneGlück. Keinen Augenblick in seiner Umarmung vergaß sie, wie leer und windig ihr Liebhaber war.
Erlöst, ohne Scham lag sie neben ihm, während er eingeschlafen war. Das hübsche, verderbte Gesicht des Schlafenden sah kindlich aus; leise kam und wohlriechend der Atem aus seinen sehr roten Lippen. Sie dachte daran, mit welcher Überzeugung jetzt die meisten in dieser Stadt, in diesem Land, die meisten wohl überhaupt ihrer Zeitgenossen, sie beschimpfen werden, wüßten sie, daß sie hier lag mit diesem Burschen, während der Mann Martin Krüger in der Zelle saß. Sie dachte an das Ende ihrer Freundin Fancy De Lucca, gemeldet im Morgenblatt mit einem schadhaften e . Sie dachte, wie wunderlich das sei, daß sie gerade an diesem Tag sich mischte mit dem Windigen. Wie wunderlich, daß man sich wissend, mit Überlegung hineinwühlte in solchen Schlamm, wie wunderlich überhaupt dieses zweibeinige Wesen Mensch, stehend mit den Füßen im Dreck, rührend mit dem Scheitel den Himmel, ohne Speise im Bauch und mit ungesättigter Gier nur der gemeinsten Gedanken der Notdurft fähig, mit etwas Brot im Bauch und nach Stillung der Gier seine Gefühle und Gedanken sogleich fein und zierlich in die Wolken ästelnd. Sie strich mit ihrer großporigen Hand über die Haare des Schlafenden, zärtlich und angewidert, zwischen Lippen und Zähnen fast unhörbar vor sich hin summend. Er erwachte, lächelte sie an, vertraulich, ein bißchen lausbübisch.
Da er klug war und sich einfühlen konnte, merkte er bald, wie wenig seine Umarmung an ihr Wesen rührte. Das kränkte ihn. Er versuchte es mit Zärtlichkeit: sie blieb kalt. Mit Sentimentalität: sie lachte. Sein Ärger stieg, und, sie zu beleidigen, fragte er, ob sie viele Männer gehabt habe. Sie sah ihn an wie ein Erwachsener ein ungezogenes Kind, mit einer freundlichen, verstehenden Ironie, die ihn reizte. Er erzählte ihr von seinem Leben, von mancherlei kleinen, großen, schmutzigen, grausamen Schwindeleien. Sie erwiderte unberührt, so habe sie sich das vorgestellt. Er fiel von neuem über sie her. Sie genoß,erwiderte seine Liebkosungen. Kaum in der Hingabe versteckte sie ihre Verachtung.
Er, während sie auf dem Bett lag, stand schließlich auf, bat mit maniergewordener Höflichkeit, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen, kleidete sich an. Erzählte ihr, wie er in Gemeinschaft mit von Dellmaier und dem Ludwig Ratzenberger, einem feinen Jungen, den er sehr liebe, an der Ausführung eines Projektes arbeite, den seligen König Ludwig II. betreffend. Mit dem man übrigens in Bayern ebensoviel erreichen könne wie mit dem Alten Fritz in Norddeutschland. Wie er für dieses Projekt ein gutmütiges Rindvieh bluten lasse. Er ging im Zimmer auf und ab, rauchend, sich anziehend. Die Mode jener Jahre war umständlich und töricht. Die Männer knöpften sich steifleinene Krägen um die Hälse, enge, überflüssige, unschöne Kleidungsstücke, und umwanden sie mit mühsam zu schlingenden, zwecklosen Binden, sogenannten Krawatten . Johanna, während Erich Bornhaak diese Attrappen gewandt knöpfte und schlang, von der
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